Warum Flink drei Tage vor einer Betriebsratswahl alle Arbeitnehmer*innen entlassen durfte.
Von Aenne
„In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern (sic!), von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt“, so sieht es § 1 I BetrVG vor. Die Gründung von Betriebsräten ist damit nicht nur ein Recht von Arbeitnehmenden, die Existenz eines Betriebsrats stellt nach dem Wortlaut der Norm vielmehr den verpflichtenden Regelzustand dar. Die Realität sieht allerdings anders aus. In nur 9 % der betriebsratsfähigen Betriebe existiert ein solcher, womit gerade einmal 38 % der Beschäftigten durch einen Betriebsrat vertreten werden.1 Ein Grund für die Unterrepräsentanz von Betriebsräte ist die Behinderung von Betriebsratsgründungen (sog. Union Busting). Diese kann unterschiedliche Formen annehmen – von Einschüchterungsversuchen über Kündigungen einzelner Personen bis hin zur Schließung eines ganzen Betriebs.
Flink tütet ein
Jüngst sorgte die Standortschließung des Lieferdienstes Flink in Freiburg für Schlagzeilen. Grund hierfür war die zeitliche Koinzidenz zu einer anstehenden Betriebratswahl. Am 06.10.2023 stimmte die Freiburger Belegschaft mit breiter Zustimmung für die Gründung eines Betriebsrats. Doch noch während die Vorbereitungen für die für Montag, den 16.10.2023 angesetzte Betriebsratswahl auf Hochtouren liefen, erhielten alle Arbeitnehmerinnen am Freitag, den 13.10.2023 völlig überraschend eine ordentliche Kündigung mit unwiderruflicher, sofortiger Freistellung.
Am gleichen Tag wurde der Betrieb des Standortes eingestellt. Hiergegen erhoben fünf Arbeitnehmer*innen Kündigungsschutzklage. Drei Verfahren endeten mit einem Vergleich und einer kleinen Abfindung, die übrigen zwei Verfahren wurden von der Kammer des Arbeitsgerichts Freiburg abgewiesen.
Ein Hoch auf die unternehmerische Freiheit /s2
Grundsätzlich muss der*die Arbeitgeber*in bei einer Kündigung das Vorliegen des Kündigungsgrundes darlegen. Ein solcher ist in der tatsächlichen und dauerhaften Schließung eines Betriebes offensichtlich gegeben, da hierdurch die Beschäftigungsmöglichkeit beseitigt wird. Die vorgeschaltete Entscheidung, einen Betrieb zu schließen, wird aufgrund des hohen Stellenwerts der Freiheit der unternehmerischen Entscheidung in der deutschen Rechtsordnung lediglich auf Missbrauch und Willkür überprüft. Besonders problematisch ist hierbei, dass es die Arbeitnehmenden sind, die Missbrauch oder Willkür nachweisen müssen. Ein Nachweis, der ohne Einblicke in die internen Zahlen und Abläufe der Geschäftsleitungen nur schwerlich gelingt. So verhielt es sich auch im Freiburger Fall: Hier wurde von Flink vorgebracht, die Schließung beruhe auf der schlechten wirtschaftlichen Lage des Standorts. Es lag nun an den Arbeitnehmerinnen, dies zu widerlegen und damit ein Indiz für die Missbräuchlichkeit der Schließung zu erbringen, die nach Ansicht der Arbeitnehmenden vielmehr die Betriebsratsgründung verhindern sollte. Zwar konnten diese vorbringen, dass die Standortmanagerin noch kurz vor der Schließung gegenteilige Informationen verbreitete – so sei Flink Freiburg seit kurzer Zeit profitabel und auch im deutschlandweiten Vergleich regelmäßig unter den besten drei Standorten gewesen. Zudem wurde der Standort unmittelbar vor der Schließung aufwendig umstrukturiert und mehrere Arbeitnehmer*innen neu eingestellt. Diese Indizien für die Wirtschaftlichkeit reichten dem Gericht allerdings nicht aus, um die Aussagen der Flink-Leitung zu widerlegen. Die Klagen scheiterten schließlich an der Darlegungslast.
Beweiserleichterung jetzt!
Um den effektiven Schutz von Betriebsratsgründungen zu gewährleisten, bedarf es in einer solchen Konstellation einer Beweiserleichterung. So wäre vorstellbar, ab dem Beginn des Verfahrens zur Betriebsratswahl bis zur tatsächlichen Etablierung eines Betriebsrats eine gesetzliche Vermutung für die Missbräuchlichkeit einer Betriebsschließung zu normieren. Sodann läge die Beweislast für den Nachweis, dass die Betriebsschließung auf einem legitimen Grund beruhe, bei dem*der Arbeitgeber*in. Eine solche Änderung könnte die Behinderung von Betriebsratsgründungen erschweren, wodurch dem gesetzlich vorgesehenen Regelfall aus § 1 I BetrVG Rechnung getragen werden würde. Angesichts des hierdurch eintretenden Eingriffs in die meist unkritisch hochgelobte unternehmerische Freiheit erscheint ein tatsächliches Handeln des Gesetzgebers allerdings eher fernliegend. Flächendeckende demokratischen Mitbestimmung am Arbeitsplatz bleibt vielmehr eine Wunschvorstellung.
Die Autorin war Riderin bei Flink, hat die Betriebsratswahl mitinitiiert und vor dem Arbeitsgericht gegen ihre Kündigung geklagt.
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