Die Grundrechte gelten nicht im Park

Wie das Freiburger Musikverbot den Grundrechtsschutz im öffentlichen Raum aushöhlt.

Von Jan

Breitseite-Ausgabe SoSe 2024

Ende Mai 2023 beschloss der Gemeinderat Freiburg eine neue Satzung für nahezu alle Parks1 der Stadt (Parkanlagensatzung). Darin enthalten ist ein Musikverbot. In § 7 Abs. 2 wird der Betrieb von jeglichen Tonwiedergabegeräten (insbesondere Bluetooth- und Handyboxen sowie Musikboxen) und Musikinstrumenten in der Zeit von 23:00 bis 6:00 Uhr verboten. Die Regelung stieß auf Widerspruch. Vor allem junge Menschen, die Hauptadressat*innen des Verbots sind und sich zu Unrecht als feierwütige Störenfriede dargestellt sehen, äußerten ihren Unmut. Der AKJ Freiburg klagte daraufhin zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und einem breiten Bündnis an kommunalpolitischen Gruppen gegen die Vorschrift.2 Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg wies den entsprechenden Eilantrag im Dezember 2023 jedoch als unbegründet zurück.3 Rechtlich ließ das oberste Verwaltungsgericht des Landes damit nicht nur ein unverhältnismäßiges Verbot unbeanstandet, sondern öffnete auch Tür und Tor für eine gefährliche Aushöhlung des Grundrechtsschutzes im öffentlichen Raum.

Unverhältnismäßiger Eingriff in Freiheitsrechte

Zentrales rechtliches Argument gegen das Musikverbot ist seine Unverhältnismäßigkeit. Es erfasst jedes noch so leise Musizieren und nimmt keinerlei Rücksicht auf die möglichen Abstände zur nächsten Wohnbebauung, die in manchen der Parkanlagen mehrere hundert Meter betragen.4 Zudem drohen Bußgelder und bei wiederholtem Verstoß sogar ein Nutzungsverbot für die Freiburger Parkanlagen.5 Diese Einschränkungen sind für die große Mehrheit der Nutzer*innen, welche die Lautstärke ihrer Musik mit fortschreitendem Abend reduzieren, zum Schutz der Nachtruhe weder erforderlich noch angemessen.

Nach der Rechtsprechung ist die Nachtruhe nämlich erst bei Überschreiten bestimmter lärmbezogener Erheblichkeitsschwellen6, nicht aber bei leisem Musizieren in ausreichendem Abstand gestört. Das Musikverbot ist daher ein unverhältnismäßiger Eingriff in Freiheitsrechte. Nicht nur wird die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, in bestimmten Konstellationen sind auch die Kunst- und Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 und Abs. 1 GG berührt.7

Im Verfahren gegen das Verbot führte der VGH jedoch keine ordnungsgemäße Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch, weil er bereits einen Grundrechtseingriff verneinte.8 Das hängt mit der restriktiven Grundrechtsdogmatik zur Rechtsgrundlage des Verbots zusammen.

Restriktive Grundrechtsdogmatik bei öffentlichen Einrichtungen

Die Stadt Freiburg sah sich nicht in der Lage, das Musikverbot rechtskonform auf das Polizeirecht zu stützen.9 Sie zog daher mit dem allgemeinen Satzungsrecht für öffentliche Einrichtungen der Gemeinden nach §§ 4 Abs. 1, 10 Abs. 2 der GemO BW eine voraussetzungsärmere Rechtsgrundlage aus dem Kommunalrecht heran. Öffentliche Einrichtungen sind Sachzusammenfassungen, die eine Gemeinde zur Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wohls durch Widmung ihren Einwohner*innen zur Verfügung stellt.10 Klassische Beispiele im Bereich der Freizeitgestaltung sind etwa kommunale Schwimmbäder oder Bibliotheken. Parkanlagen wie die in Freiburg lassen sich aufgrund ihrer unbeschränkten Zugänglichkeit für die Allgemeinheit eigentlich nicht darunter fassen, denn nach verbreiteter Auffassung fallen solche frei zugänglichen Räume nicht unter den Begriff.11 Der VGH änderte in dieser Frage aber seine Rechtsprechung und erkannte die Parkanlagen als öffentliche Einrichtungen an.12

Relevant ist das vor allem, weil damit die restriktive Grundrechtsdogmatik des Rechts der öffentlichen Einrichtungen zur Anwendung kommt. Danach sind Benutzungsregeln, soweit sie im Zusammenhang mit dem von der Gemeinde weitgehend frei bestimmbaren Einrichtungszweck stehen, nur am Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Eingriffe in Freiheitsrechte, also klassische Abwehrrechte wie Art. 2 Abs. 1 oder Art. 5 Abs. 1 GG, könnten sie hingegen nicht darstellen.13

Dahinter steht, dass die Schaffung öffentlicher Einrichtungen und ihre Zweckbestimmung generell der staatlichen Leistungsverwaltung zugeordnet wird.14 Gedanklich schafft in dieser der Staat bzw. die Gemeinde einen zusätzlichen Freiheitsraum, weshalb schon kein Eingriff in Freiheitsrechte vorliegen könne.15

Diese Dogmatik zog der VGH auch beim Musikverbot heran. Da dieses im engen Zusammenhang mit dem Einrichtungszweck der Parks – Naherholung und Freizeitgestaltung – stehe und aufgrund der zeitlichen Begrenzung auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung begründe, stelle es keinen Eingriff in die Grundrechte musizierender und musikhörender Nutzer*innen dar.16

Folge: Aushöhlung des Grundrechtsschutzes im öffentlichen Raum

Diese Beurteilung verkennt die grundrechtliche Bedeutung des öffentlichen Raums. Öffentlich zugängliche Flächen wie die Freiburger Parkanlagen sind, anders als klassische zugangsbeschränkte öffentliche Einrichtungen wie Schwimmbäder oder Bibliotheken, zentrale Orte für das gesellschaftliche und politische Leben. Hier entfalten sich insbesondere die Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 GG, die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Indem der VGH solche frei zugänglichen öffentlichen Räume als öffentliche Einrichtungen im Sinne des Kommunalrechts anerkennt und die Grundrechtsdogmatik der Leistungsverwaltung anwendet, entzieht er sie faktisch der Geltung der Freiheitsrechte. Damit werden großflächige Grundrechtsenklaven im öffentlichen Raum geschaffen.

Dies dürfte im klaren Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehen. So betonte Karlsruhe in der Fraport-Entscheidung, dass überall dort, wo der Staat öffentlich zugängliche Räume schafft, er den Gebrauch der Grundrechte in diesen nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen kann, da er sich sonst in Widerspruch zur eigenen Öffnungsentscheidung setzen würde.17 Hält der VGH dennoch weiter an seiner Rechtsprechung fest, droht das Freiburger Musikverbot Vorlage für eine massive Aushöhlung des Grundrechtsschutzes im öffentlichen Raum zu werden.

Anmerkung: Zwar erging die Entscheidung des VGH im Eilverfahren, aufgrund der damit einhergehenden faktischen Vorfestlegungen des Gerichts strengten die Antragsteller*innen, denen der Autor angehört, aber kein Hauptsacheverfahren an. Da in diesem mit keiner gegenteiligen Entscheidung des VGH zu rechnen war, hätten die Antragsteller*innen auf erfolgreiche Rechtsmittel vor dem BVerwG oder gar dem BVerfG setzen müssen. Der damit einhergehende finanzielle und zeitliche (Arbeits-)Aufwand war nicht leistbar.

Endnoten:

  1. Erfasst sind Stadtgarten, Colombi-, See- und Dietenbachpark, die Grünanlage Moosweiher und der Park am Sandfang, vgl. § 1 I a) Parkanlagensatzung. ↩︎
  2. Klageschriftsatz abrufbar unter https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/musikanlagen (unter „Dokumente“) (letzter Abruf 15.04.24). ↩︎
  3. VGH BW, Beschl. v. 19.12.2023 – 1 S 1365/23. ↩︎
  4. Siehe Klageschriftsatz (Fn. 2) S. 12 ff. ↩︎
  5. Bußgeld geregelt in § 10 Parkanlagensatzung, Nutzungsverbot in § 9 Parkanlagensatzung. ↩︎
  6. Der VGH BW spricht im Beschl. v. 05.08.2021 – 1 S 1894/21 von der „Erheblichkeit von Lärm“ (juris Rn. 135). ↩︎
  7. Etwa beim Spielen von Instrumenten, beim Tanzen zu Musik oder beim Radiohören, vgl. hierzu Klageschriftsatz (Fn. 2) S. 50ff., 53 ff. ↩︎
  8. VGH BW, (Fn. 3), juris Rn. 116 ff. ↩︎
  9. Das geht eindeutig aus einem verwaltungsinternen Schreiben vom August 2022 hervor. ↩︎
  10. VGH BW, Urt. v. 09.01.1996 – 2 S 2757/95, juris Rn. 27. ↩︎
  11. So früher VGH BW, Urt. v. 26.06.1972 – I 787/71, ESVGH 23, 196 (198); neuerdings OLG Hamm, Beschl. v. 04.05.2010 – III-3 RBs 12/10, openjur Rn. 43. ↩︎
  12. VGH BW, (Fn. 3), juris Rn. 103 ff. ↩︎
  13. Vgl. VGH BW, (Fn. 3), juris Rn. 117 ff. ↩︎
  14. Siehe Weber, Rechtswörterbuch, Leistungsverwaltung. ↩︎
  15. Angedeutet etwa bei Helbich, JuS 2017, 507 (510), implizit VGH BW, (Fn. 3), juris Rn. 117 ff. ↩︎
  16. VGH BW, (Fn. 3), juris Rn. 119 ff. ↩︎
  17. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, juris Rn. 68 f. ↩︎