Bericht vom Mandic-Prozess am LG Freiburg

von Peter Benjamin

Breitseite-Ausgabe WiSe 22/23

Am 18.05.2022 ist der ehemalige Freiburger AfD-Stadtrat Dubravko Mandic vom Landgericht Freiburg zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Das Gericht befand, dass Mandic sich durch seinen Pfefferspray-Angriff auf der Kaiserstuhlbrücke am 16.05.2019 der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht hat.
Im Ergebnis hat das LG damit das Urteil des Amtsgerichts vom 15.12.2020 bestätigt, gegen das sowohl Mandic als auch die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen waren. Der akj Freiburg hat alle vier Prozesstage vor Ort beobachtet.
Mandic hatte auf der Kaiserstuhlbrücke gemeinsam mit Robert Hagerman, dem ebenfalls stadtbekannten rechten Messerstecher, zwei junge Menschen festgehalten, die er verdächtigte, ein AfD-Wahlplakat mit seinem Konterfei beschädigt zu haben. Einen zufällig vorbeikommenden Radfahrer, der Zivilcourage zeigte1 und eingriff, attackierte Hagerman zunächst mit einer Gartenschere, bevor Mandic großzügigen Einsatz von seiner 400ml-Dose Pfefferspray machte. Als der Geschädigte bereits orientierungsunfähig nach Wasser rief und sich von den Angreifern entfernen wollte, sprühte Mandic ein weiteres Mal direkt in dessen Gesicht.
Mitverhandelt wurde im Rahmen eines zusammengezogenen Verfahrens auch die Berufung, die Mandic gegen die Verurteilung in einem anderen Verfahren eingelegt hatte: Wegen einer 2015 geposteten Fotomontage, auf welcher die Köpfe der Angeklagten im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess durch die Gesichter aktueller Politiker:innen wie z.B. Claudia Roth und Cem Özdemir ersetzt worden waren, hatte ihn das Amtsgericht Freiburg wegen Beleidigung gem. § 185 StGB zu 90 Tagessätzen à 100€ verurteilt.
Der Umgang des vorsitzenden Richters Dr. Alexander Klein mit dieser früheren Tat sorgte am ersten Verhandlungstag für Irritationen:
Direkt zu Beginn schlug Dr. Klein dem extra aus Karlsruhe angereistem Staatsanwalt Röber vor, das Verfahren einzustellen. Aus seiner Sicht liege kein innerhalb der dreimonatigen Frist des § 77b I 1 StGB gestellter Strafantrag vor. Obwohl fünf der abgebildeten Politiker:innen im Monat nach Benachrichtigung durch die Staatsanwaltschaft einen solchen gestellt haben, sei „in dubio pro reo“ anzunehmen, diese hätten den Post auf dem Facebook-Account des Freiburger AfD-Anwalts (82 Likes, 88 Shares) unmittelbar nach dem Posten und damit schon knapp vier Monate vor der Antragstellung zur Kenntnis genommen.
Mandics Verteidiger:innen Jochen Lober und Sylvia Schwaben griffen die unerwartete Schützenhilfe von der Richterbank begierig auf und schwenkten spontan auf die äußerst zweischneidige Strategie um, die große Reichweite des beleidigenden Posts zu betonen (Auf Ebene der Strafzumessung wirkt sich diese allerdings negativ aus).
Staatsanwalt Röber hingegen drohte bereits zu diesem frühen Zeitpunkt unverhohlen mit Revision und las dem Vorsitzenden aus dem Karlsruher Kommentar zur StPO vor, dass in dubio pro reo nur dann gilt, wenn alle Beweise gewürdigt sind.2 Vorher gelte es, alle Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen.
Daraufhin kündigte Dr. Klein an, die Antragsteller:innen anzuschreiben und nach dem Zeitpunkt ihrer Kenntnisnahme zu fragen. Was daraufhin folgte war ein „kurioses Ratespiel über die Funktionen von Facebook“:3
Den beiden als Zeugen geladenen Polizisten, die Mandics Post gescreenshottet hatten, fiel die unerwartete Aufgabe zu, dem Gericht zu erklären, „wie die Reichweite von Facebook ist“ (Dr. Klein). Dass sie sich dabei Vergleichen mit der eigenen Hobby-Musiker-Karriere bedienten und die Verteidigung sinnlose Verständnisfragen wie „Können sie uns sagen, ob es Facebook nur in Freiburg oder auch weltweit gibt?“ einwarf, gab dem Ganzen einen absurden Zug. Immerhin konnte das Gericht auf diese Weise feststellen, dass keine:r der beleidigten Politiker:innen dadurch benachrichtigt wurde, dass Mandic in seinem Post „Türken-Ötzi“, „Asyl-Siggi“ und „Bundesgauckler“ verlinkt hatte.
Drei der fünf Antragsteller:innen antworteten erwartungsgemäß, nicht mehr genau zu wissen, wann sie zum ersten Mal von dem Post erfahren hatten. MdB Ralf Stegner war sich hingegen sicher, erst durch die Nachricht der Staatsanwaltschaft Kenntnis genommen zu haben. Andernfalls hätte er früher Strafantrag gestellt. Die Staatsanwaltschaft forderte dementsprechend 80 Tagessätze. Nichtsdestotrotz stellte das Gericht das Beleidigungs-Verfahren im Urteil ein.
Insgesamt machte der Vorsitzende den Eindruck, entweder sehr wenig über das Internet zu wissen (die Tatsache, dass die Antragsteller:innen 2015 einen Facebook-Account hatten, belegte er mit Google-Suchen-Screenshots vom Vorabend) oder keine Lust zu haben, Mandic zu bestrafen. Jedenfalls warf das Verfahren kein gutes Licht auf den Umgang der Freiburger Justiz mit rechter Hetze im Netz.
Am zweiten Prozesstag schienen Mandic und seine Verteidigung die Gewogenheit des Gerichts zu verspielen:
Schwaben schaffte es mit mehreren Anläufen gerade so, einer Zeugin das Festnahmerecht aus § 127 I StPO zu erklären. Nach diesem haben auch Privatpersonen die Befugnis, auf frischer Tat ertappte Täter:innen festzuhalten. Sie fragte dann, ob Mandics Verhalten aus Sicht der Zeugin eventuell diesem Festnahmerecht entsprochen habe. Die Antwort wird ihr nicht gefallen haben: „Das war für mich völlig unverhältnismäßig. Pfefferspray ist kein Festhalten.“
Lober machte die Zeugin erst mit Non-Sense-Fragen müde („Wofür stehen eigentlich die Freien Wähler?“); Mandic polterte lautstark los, als diese ihm nicht ihre E-Mails von 2019 auf dem Handy zeigen wollte. Dass der Vorsitzende die Zeugin trotzdem wegen eines Arzttermins ihres Kindes für den Verhandlungstag entließ, brachte ihm einen (erfolglosen) Befangenheitsantrag ein.
Umso überraschender war, dass der Vorsitzende sich gleich zu Beginn des dritten Verhandlungstags eine „konsensuale Lösung“ wünschte: Er stellte Mandic unverbindlich die Annahme eines minder schweren Falls (Mindeststrafe drei statt sechs Monate) in Aussicht, falls dieser gestehe, sich entschuldige und bereit sei, Wiedergutmachung in Form eines Schmerzensgeldes zu leisten. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte beschränkten ihre Berufung daraufhin gem. § 318 StPO auf den Rechtsfolgenausspruch. Das bedeutet, dass die Beteiligten den vom Amtsgericht in erster Instanz ermittelten Sachverhalt akzeptierten und das Landgericht lediglich eine neue rechtliche Beurteilung vorzunehmen hatte.
Mandic überwies sofort 3.000 Euro per Online-Banking und „entschuldigte“ sich, indem er den Nebenkläger verhöhnte, er habe ihn für gefährlicher gehalten und nicht das mildeste Mittel gewählt.4 Echte Reue zeigte er keine, der Vorsitzende schien trotzdem zufrieden.
Im Anschluss wurde Mandic zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt: Der erfahrene Anwalt probierte sich als möglichst geringverdienend darzustellen und gab lediglich eine alte Steuerklärung über 34.000€ netto aus 2019 an. Fragen zu seinem aktuellen Einkommen wollte er nicht beantworten. Er setzte offensichtlich darauf, dass ihn das Gericht für ärmer schätzt, als er ist.5 Außerdem erklärte Mandic fälschlich, er habe seine politischen Aktivitäten eingestellt.6 Das nahm ihm das Gericht ebenso wenig ab wie die Badische Zeitung.7
Zusammen mit den psychischen Folgen, die Mandics Tat beim Opfer ausgelöst hat, dürfte das ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass das Landgericht letztendlich doch keinen minderschweren Fall annahm und Mandic zur Mindeststrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilte. Hinzu kam eine noch nicht von Mandic bezahlte Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen à 120€ wegen Nötigung einer Journalistin im Mai 2019, die in einen zusätzlichen Monat auf Bewährung umgewandelt wurde. Die Bewährungszeit beträgt ein Jahr.
Mandic, der schon im Lauf des Prozesses deutlich gemacht hatte, dass er sich einer linken Verschwörung gegenübersieht,8 kommentierte den Urteilsspruch mit einem lautstarken „Betrug!“.9
Obwohl man das Urteil u.a. aufgrund der politischen Motivation der Tat und der Herabwürdigung des Opfers durchaus als mild ansehen kann, hat Mandic Revision eingelegt. Wann der Bundesgerichtshof über diese entscheiden wird, ist noch nicht bekannt. Mandics Komplize Hagerman wurde am 14.07.22 vom Amtsgericht Freiburg in der Kaiserstuhlbrücken-Sache freigesprochen.


Fußnoten:


1 So wörtlich das Urteil des AG Freiburg.
2 KK-StPO-Ott, 8. Aufl. 2019, StPO § 261 Rn. 63.
3 Badische Zeitung vom 14.04.2022, https://www.
badische-zeitung.de/kurioser-prozessstart-raetselraten-ueber-facebook
4 https://autonome-antifa.org/breve8300
5 Zur Problematik siehe Ronen Steinke, Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich, S.77ff.
6 https://autonome-antifa.org/breve8300
7 Badische Zeitung vom 12.05.2022, https://www.badische-zeitung.de/mandic-akzeptiert-urteil-am-dritten-prozesstag-aber-nicht-die-strafe
8 Badische Zeitung vom 28.04.2022, https://www.badische-zeitung.de/zweiter-verhandlungstag-endet-fruehzeitig
9 https://autonome-antifa.org/breve8308