Weniger Erholung während des Examens

Baden-Württemberg verkürzt die Prüfungszeiträume in der juristischen Staatsprüfung

von Peter Silie und Jonathan Bruck

Dass die psychische Belastung des Jurastudiums ein weitverbreitetes Problem ist, ist allbekannt. So beobachtet die Leiterin der psychologisch-psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks Berlin, dass psychische Belastungen, namentlich depressive Verstimmungen, Lebensmüdigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Panikattacken und Angststörungen in Form von Prüfungsangst, unter Jurist:innen besonders verbreitet sind (Quelle: https://taz.de/Pruefungsstress-unter-Juristinnen/!5759026/). Grund dafür seien vor allem Klausuren. So geben in einer Befragung im Zeitraum September 2020 bis März 2021 nahezu 70 Prozent der Befragten an, sich im Vorfeld einer Klausur „schlecht“ oder „sehr schlecht“ zu fühlen. Wurde eine Klausur nicht bestanden, geben 72 Prozent der Befragten an, Angst zu haben, auch in der Wiederholungsklausur durchzufallen. (Quelle: https://www.lto.de/karriere/jura-studium/stories/detail/bundesfachschaft-jura-umfrage-psychischer-druck-im-jurastudium-2022-angst).

Studien zeigen immense Belastung von Jurastudierenden
Dass dieser Druck und die Versagensängste in der Vorbereitung für die einzig wirklich relevante Prüfung zum Abschluss des Studiums, der Staatsprüfung im ersten juristischen Staatsexamen, immens in die Höhe steigt überrascht nicht. Das belegt auch die groß angelegte Studie „JurSTRESS“ der Fakultät für Psychologie, Pädagogik und Sportwissenschaft sowie der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg, in der Daten von 452 Student:innen ausgewertet wurden. Demnach befinde sich die Ängstlichkeit (gemessen anhand der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS)) von Examenskandidaten drei Monate vor dem Examen zu 42 Prozent, eine Woche davor zu 48 Prozent auf einem bedenklichen Niveau. Die Studie betont hierbei, dass diese Werte nicht als Diagnose einer Angststörung verstanden werden dürften, bei Auftreten bei einer:einem Patient:in im klinischen Kontext jedoch die Einleitung weiterer diagnostischer Schritte zur Abklärung rechtfertigen würden (Quelle: https://www.uni-regensburg.de/assets/humanwissenschaften/psychologie-kudielka/JurSTRESS_Abschlussbericht.pdf Abb. 4&5).
Bei der gemessenen Depressivität täte sich zwar kein bedenklicher Mittelwert hervor, der Anteil der Examenskandidaten mit auffälligen Depressivitäts-Werten steige eine Woche vor dem Examen jedoch auf 19 Prozent an, um nach dem Examen wieder zurückzugehen (Abb. 6&7). Auch die Zahlen für körperliche Beschwerden sowie Schlafproblemen (Abb. 8-11) zeigen ähnliche Ergebnisse.

Nur noch acht statt zehn Tage für sechs Klausuren
Vor diesem Hintergrund gilt es nun, die Entscheidung des Landesjustizprüfungsamts (LJPA) Baden-Würrtemberg, die Zeiträume des ersten juristischen Staatsexamens ab der Herbstkampagne 2023 zu verkürzen, kritisch zu beleuchten. Klassischerweise wird die erste von sechs fünfstündigen Klausuren an einem Dienstag geschrieben; die abschließende Strafrechtsklausur am Donnerstag der darauffolgenden Woche. Der Prüfungszeitraum beträgt somit zehn Tage, an denen vier als Erholung vorgesehen sind. 
Für die Kampagne im Herbst 2023 sind laut LJPA (Quelle: https://www.justiz-bw.de/,Lde/Startseite/Pruefungsamt/Staatspruefung+in+der+Ersten+juristischen+Pruefung) nicht mehr wie bislang zehn, sondern nur neun Tage, ab Frühjahr 2024 gar nur acht Tage vorgesehen. Somit beschränken sich die Ruhetage zwischen den Prüfungen auf das Wochenende. Dass das der ohnehin schon immensen psychischen Belastung nicht entgegenwirkt, steht außer Frage.
Doch die Entscheidung ist aus weiteren Gründen zu kritisieren: Denn neben die bereits erörterten psychologischen Beeinträchtigungen treten auch solche physiologischer Natur auf. Bereits jetzt absolvieren viele Student:innen ihr Examen mit Sehnscheidenentzündungen – kein Wunder, bedenkt man, dass im Rahmen des Examens rund 100 bis 180 Seiten handschriftlich angefertigt werden müssen. Hier können Ruhetage zweifelsohne entgegenwirken.

Entscheidungen des LJPA: intransparent und schlecht kommuniziert
Des Weiteren ist der Entscheidungsfindungsprozess des LJPA höchst intransparent und über die Köpfe der Studierendenschaft hinweg abgelaufen. So wurden unseren Informationen zufolge weder Landesfachschaft noch andere studentische Vertreter:innen einbezogen. Ganz anders die Professor:innenschaft: Die Entscheidung wurde im  sog. Ständigen Ausschuss, dem Professor:innengremium beim LJPA, intensiv diskutiert. Genaueres war hierzu leider bislang nicht zu erfahren. Eine Presseanfrage der Breitseite beim Landesjustizministerium wurde mit Allgemeinplätzen beantwortet – und auch das Freiburger Mitglied des Ständigen Ausschusses, Prof. Krebber, wollte sich zu den Beratungen im Ständigen Ausschuss nicht äußern.
Entsprechend schwierig stellt es sich dar, die Gründe des LJPA für die Verkürzung nachzuvollziehen. Auf Anfrage wurde uns mitgeteilt, dass der Entscheidung organisatorische Erwägungen zugrunde lägen, da sich die Anmietung geeigneter Prüfungsräume mitunter schwierig gestalte. In der Tat muss das Land für die Examensklausuren externe Räume anmieten – so fanden die Klausuren in Freiburg zuletzt regelmäßig im Ballhaus oder in der Freiburger Messe statt. Offen bleibt dabei, ob es dem LJPA tatsächlich nicht möglich ist, entsprechende Räumlichkeiten an allen Prüfungsstandorten zu organsieren, oder ob auch fiskalische Erwägungen eine Rolle spielten. Über die tatsächlichen Gründe wollen wir allerdings nicht weiter spekulieren, sondern in der nächsten Ausgabe, soweit Näheres bekannt wird, dahingehend informieren.
Zuletzt gilt es noch die Kommunikationspolitik des LJPA zu kritisieren. Denn bei einer so schwerwiegenden Entscheidung könnte man durchaus davon ausgehen, dass sie immerhin umfangreich an die Student:innen kommuniziert wird. Doch Fehlanzeige – die Entscheidung wurde weder über die Fakultäten noch per Pressemitteilung mitgeteilt. Die neuen Kampagnenzeiten sind einzig und allein auf der Webseite des LJPA unter „Terminübersichten“ für das erste Staatsexamen zu finden.
Die mangelnde Sensibilität im Umgang mit psychischen Erkrankungen ist für die meisten Studierenden, die bereits im Studium Sätze, wie „Dann ist man halt mal ein bisschen traurig.“ oder „Depression ist eine reine Befindlichkeit.“ hören, zwar keine Überraschung; dass die psychische Gesundheit im Jurastudium schon wieder hinter anderen Interessen zurücktreten muss und von Fakultäten sowie dem Ministerium missachtet wird, ist und bleibt aber ein untragbarer Zustand.