Die Ampel plant eine große Reform des Familienrechts. Zentrale Vorhaben sind die rechtliche Erweiterung von Elternschaft auf queere Konstellationen sowie die Einführung der sog. Verantwortungsgemeinschaft als alternative Lebensgemeinschaft. Damit reagiert die Ampel auf jahrzehntelange (Rechts-)Kämpfe vor allem queerer Menschen gegen ihre Diskriminierung. Mit den Änderungen würde das Familienrecht geschlechtergerechter, weniger heteronormativ und die soziale Begründung von Zugehörigkeit gestärkt.
Von Anne
Nicht weniger als „die größte Familienrechtsreform der letzten Jahrzehnte“ kündigte Justizminister Marco Buschmann für Mitte der Legislaturperiode an.1 Grund genug, sich die Gesetzesvorhaben genauer anzusehen. Der folgende Text beleuchtet die Reformen im Bereich der Elternschaft sowie die Einführung der sogenannten „Verantwortungsgemeinschaft“.
Who’s your mommy?
Im Zentrum der Reform steht das Abstammungsrecht und damit die Frage, welche Person im rechtlichen Sinne Elternteil eines Kindes ist. Die bisherigen Regelungen hierzu fußen auf einem biologischen, heteronormativen und geschlechtsbinären Verständnis von Elternschaft und bedingen dadurch gravierende Diskriminierung queerer Menschen. Paradebeispiel hierfür ist § 1591 BGB, der unter der Überschrift „Mutterschaft“ regelt: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“ Damit weist die Norm der reproduktiven Funktion des Gebärens zwingend eine vergeschlechtlichte Rolle zu: Wer ein Kind gebiert, ist grundsätzlich Mutter, Frau, weiblich. § 1591 BGB wird zwar analog angewandt auf Menschen, die keinen weiblichen Geschlechtseintrag besitzen – etwa geschlechtsdiverse Personen oder trans* Männer – und ein Kind zu Welt bringen. Diese müssen jedoch auf der Geburtsurkunde ihres Kindes zwingend als „Mutter“ aufgeführt werden, selbst wenn die Geburt nach rechtswirksamer Änderung des Personenstands erfolgt (gleiches gilt für trans* Frauen, die bei Zugabe ihres Samens ausschließlich als „Väter“ anerkannt werden können). Grundlage hierfür ist § 11 des sogenannten Transsexuellengesetz (TSG) von 1981, nach dem im Rechtsverhältnis einer trans* Person mit geändertem Geschlechtseintrag zu deren Kindern ausnahmsweise der alte Eintrag weiter fortwirkt. Zum Zeitpunkt des Gesetzerlasses war dies noch reine „Vorsichts“maßnahme, denn gebärende trans* Personen sollte es nach dem damaligen Willen des Gesetzgebers gar nicht erst geben: Das TSG machte geschlechtsangleichende Operationen sowie Fortpflanzungsunfähigkeit zur Bedingung für die Änderung des Geschlechtseintrags. Diese sogenannte „große Lösung“ wurde vom Bundesverfassungsgericht 2011 für verfassungswidrig erklärt.2 § 11 TSG wirkt jedoch fort, genau wie § 5 Abs. 3 TSG, der vorsieht, dass trans* Personen in der Geburtsurkunde ihrer Kinder mit ihren alten Vornamen zu benennen sind. Diese Gängelungen machen es trans* Menschen unmöglich, entsprechend ihrer selbstbestimmten Geschlechtsidentität zu leben und gleichzeitig als rechtliche Eltern ihrer Kinder anerkannt zu werden.
Dennoch hielten sämtliche Gerichte § 1591 BGB und die darauf fußende Praxis für rechtmäßig. Der Bundesgerichtshof verteidigte die biologische Zuordnung von Mutter- und Vaterstatus u.a. mit dem Interesse an Richtigkeit und Vollständigkeit des Personenregisters sowie dem Interesse der Kinder, den konkreten Fortpflanzungsbeitrag ihrer Eltern zu kennen und sich bei Vorlage der Geburtsurkunde nicht als Kinder mit trans* Elternteil offenbaren zu müssen.3 Das Bundesverfassungsgericht nahm eine Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss nicht zur Entscheidung an,4 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah aufgrund des weiten Ermessensspielraum des nationalen Gesetzgebers in abstammungsrechtlichen Belangen keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention.5
Damit bleibt eine Regelung bestehen, die das Selbstbestimmungsrecht von trans* und diversen Personen unterminiert, Zwangsoutings bedingt, wenn das in der Geburtsurkunde angegebene nicht mit dem gelebten Geschlecht des Elternteils übereinstimmt und ferner ein binäres Verständnis von biologischem Geschlecht perpetuiert, das nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Mangels gerichtlicher Intervention ist es daher umso wichtiger, dass die Ampel-Koalition diesen Missstand nun beheben möchte. Als Interimslösung sollen nach dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz, welches das Transsexuellengesetz ablösen wird, trans* Menschen auf der Geburtsurkunde schlicht als „Elternteil“ eingetragen werden können und außerdem einen Anspruch auf Anpassung von Registern und Dokumenten haben.
Darüber hinaus ist eine grundlegende Änderung des § 1591 BGB geplant. Hierbei sind vor allem zwei Optionen denkbar: Zum einen könnte der aktuelle Normtext schlicht um die Feststellung ergänzt werden, dass die Norm auf gebärende Männer als Väter und geschlechtsdiverse Menschen als Elternteil entsprechend anwendbar ist. Diese Lösung vertritt etwa der Deutsche Juristinnenbund.6 Ein anderer und weitreichenderer Ansatz wäre eine völlige Ablösung von geschlechtsspezifischen Begriffen und Voraussetzungen im Abstammungsrecht. Hier soll Geschlecht nicht in möglichst genauer Weise benannt werden, sondern für die Abstammung schlicht keine tragende Rolle spielen. Stattdessen wird an konkrete reproduktive Funktionen angeknüpft. So werden Eltern in einem australischen Bundesstaat schlicht als „birthing parent“ und „other parent“ bezeichnet, Bezeichnungen auf der Geburtsurkunde sind frei wählbar. Dies wird zum einen dem Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen gerecht, zum anderen können Kinder entsprechend ihrem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung genau nachvollziehen, wer sie geboren und wer sie gezeugt hat. Letztlich wäre die Problematik der Zwangsoutings durch Geburtsurkunden entschärft, wenn diese grundsätzlich geschlechtsneutral formuliert werden.
Who’s your daddy?
Auch die bisherige Regelung zur Vaterschaft in § 1592 BGB, d.h. zur Besetzung der zweiten Elternstelle, soll eine Generalüberholung erfahren. Bisher wird laut Norm derjenige Mann Vater des Kindes, der mit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet ist, die Vaterschaft mit deren Übereinstimmung anerkennt oder gerichtlich bestimmt wird. § 1592 BGB ist nach der Rechtsprechung des BGH nicht analog auf Frauen anwendbar, sodass bei lesbischen Paaren die zweite Partnerin nicht automatisch Elternteil wird, sondern ihr eigenes Kind erst im langwierigen und beeinträchtigenden Prozess der Stiefkindadoption adoptieren muss. Gleiches gilt, wenn der zweite Elternteil keinen oder einen diversen Geschlechtseintrag führt. Infolge zahlreicher Klagen queerer Eltern haben inzwischen zahlreiche Gerichte die Norm beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Kontrolle vorgelegt, weil sie sie für verfassungswidrig halten.7
Dem ist aus mehrerlei Hinsicht zuzustimmen. Zunächst ist der zweite Elternteil in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verletzt. Dieses begründet das Recht und die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes, was ohne rechtlichen Status als Elternteil nur beschränkt möglich ist. Nach Sicht des BGH sollte sich die Wunsch-Mutter eines mithilfe reproduktiver Technologie gezeugten Kindes schon nicht auf dieses Recht berufen können, da es ausschließlich leiblichen oder rechtlich bereits anerkannten Eltern zustehe – was die Wunsch-Mutter nicht sei. Dies scheint jedoch nicht überzeugend. Das Bundesverfassungsgericht stützt das Elternrecht auf die Tatsache, dass die Eltern dem Kind das Leben gegeben haben und ihm sozial und familiär verbunden sind. Soziale und familiäre Verbundenheit sind offensichtlich unabhängig vom Geschlecht. Und auch das „Leben geben“ lässt sich bei gleichgeschlechtlichen Paaren im Falle der Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin bejahen: Hier ist die erklärte Verantwortungsübernahme des*der zweiten Partner*in sowie die bewusste Entscheidung für die Zeugung des Kindes notwendige Bedingung für die Entstehung neuen Lebens. Spiegelbildlich ist damit auch das Kind in seinem Recht auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung verletzt.
Ferner verstößt die Nicht-Anerkennung der zweiten Person gegen verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsätze: Zum einen werden hierdurch entgegen dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und ohne hinreichenden Sachgrund gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern gegenüber verschiedengeschlechtlichen benachteiligt.
Zum anderen wird die zweite Person durch die Vorenthaltung des Elternstatus einzig wegen ihres nicht-männlichen Geschlechts entgegen Art. 3 Abs. 3 Var. 1 GG aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert. Legt man eine nicht rein auf biologischer Abstammung basierende Definition von Elternschaft zugrunde, besteht auch kein hinreichender Grund, um die Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts zu rechtfertigen. In der Zwischenzeit hat sich die Ampel vorgenommen, § 1592 BGB zu erweitern.8 Flankiert werden soll dies von einer Fortentwicklung des sogenannten „kleinen Sorgerechts“, mit dem bis zu zwei weitere Erwachsene mit dem Kind in eine rechtliche Beziehung treten könne. Die ursprünglich angedachte Erweiterung des vollen Sorgerechts auf insgesamt bis zu vier Erwachsene ist damit vom Tisch. Darüber hinaus sollen Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, Unterhalt und Sorge zukünftig auch schon vor Schwangerschaft und Geburt möglich sein.
Zwischenfazit
Die geplanten Änderungen im Abstammungsrecht sind die überfällige und teils verfassungsrechtlich gebotene Beendigung diskriminatorischer Praktiken, und geht maßgeblich auf die (Rechts-)Kämpfe queerer Menschen zurück. Die angedachten Regelungen stellen die cis-heteronormative Definitionsmacht über Elternschaft sowie das Konzept von Familie als naturgegebener Schicksalsgemeinschaft aus Vater, Mutter, Kind in Frage.
„Ehe light“9, „Entwertung der Ehe“ – oder: die Ver-
antwortungsgemeinschaft
Eine weiteres Reformvorhaben – die Verantwortungsgemeinschaft – stellt eine echte gestalterische Neuheit im deutschen Familienrecht dar. Dass sie einen Nerv der aktuellen Ordnung trifft, zeigt schon die reaktionsschnelle Bezeichnung als „Ehe light“, mit der eine Entwertung der eigentlichen Ehe nicht aufzuhalten sei. Nach aktuellem Stand ist vorgesehen, dass sich zwei oder mehr Menschen in einem tatsächlichen Näheverhältnis (ein Zusammenleben ist nicht erforderlich) beim Standesamt als Verantwortungsgemeinschaft eintragen und genauso wieder austragen lassen können. Dabei entscheiden sie in einem Stufensystem, welche Rechte und Pflichten siekonkret füreinander übernehmen. Diese können von Vertretungs- und Auskunftsrechten bis hin zu gegenseitigen Unterhaltszahlungen und Vermögensausgleich reichen; auch verfügen die Beteiligten untereinander über ein Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren. Nach einem FDP-Entwurf sollen ihnen ferner steuer- und erbrechtliche Vorteile zukommen, die bisher Ehe und Verwandtschaft vorbehalten sind. Hier werden aber auch Grenzen des Vorhabens deutlich: Die finanzielle Begünstigung soll im Umfang nicht an die der Ehe heranreichen, da nur so Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter besonderen staatlichen Schutz stellt, Rechnung getragen werde. Auch begründet die Verantwortungsgemeinschaft anders als die Ehe weder Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis, noch ist sie Basis für die Adoption eines Kindes.
Dennoch wäre die Einführung der Verantwortungsgemeinschaft ein Meilenstein in der Familienrechtspolitik. Der Lebensrealität zahlreicher Menschen, deren Solidaritäts-undPflegenetzwerksichschonjetztnicht primär innerhalb einer Ehe abspielt, würde durch die rechtliche Anerkennung sowie den Abbau bestehender Benachteiligungen Rechnung getragen. Zum anderen würden gegenseitige Sorge und Verantwortungsübernahme so zunehmend auf bewusste Entscheidung statt religiös-moralische Vorstellungen und vermeintliche biologische Zwänge gestützt.
Kritik und Ausblick
Die geplanten Reformen sind indes schnell zur Zielscheibe konservativer Kritik geworden. Der vermeintliche Schaden für Kindeswohl, Frauenrechte und gesellschaftliche Ordnung wird als Einwand gegen queere Emanzipation ins Feld gebracht.10 Durch den Vorwurf der ideologischen Motivation der Vorhaben werden diese als künstlich und politisch beliebige Ziele markiert; auf Ehe, Geschlechtsbinarität und Heterosexualität basierende Modelle hingegen als durch Natur und Vernunft geboten.11 Im Abwehrkampf gegen derlei reaktionäre Kritik sollte jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass eine Erweiterung des Familienverständnisses insofern in ihrer Wirkung begrenzt ist, als sie Strukturen des Zusammenlebens zwar inklusiver, aber nicht automatisch auch sozial gerecht macht. Die ungleiche Verteilung von Vermögen und Care-Arbeit, die u.a. durch Erbrecht und steuer- sowie arbeitsrechtliche Vorschriften begünstigt wird, bleibt unangetastet. Im schlechtesten Fall stünde am Ende nur das Versprechen, zwar von materieller Ungleichheit und Notwendigkeit zur privaten Care-Organisation erdrückt, dabei aber immerhin als Familie anerkannt zu werden. Im besten Fall sind die Reformen jedoch Grundlage und ein Etappensieg im Kampf um gerechte und emanzipatorische Organisation sozialen Zusammenlebens.
Endnoten:
- https://www.rnd.de/politik/buschmann-kuendigt-groesste-familienrechtsreform-der-letzten-jahrzehnte-an-44V5IVB2L5L6YXGLUKW22KKMJA.html ↩︎
- BVerfG, Beschluss vom 11.01.2011, 1 BvR 3295/07. ↩︎
- BGH, Beschluss vom 06.09.2017, XII ZB 660/14. ↩︎
- BVerfG, Beschluss vom 15.05.2018, 1 BvR 2831/17. ↩︎
- EGMR, Urteil vom 04.04.2023, Nr. 53568/18, O.H. und G.H./Deutschland. ↩︎
- Leitplanken für die Reform des Abstammungsrechts,
05.05.23, djb, https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st23-12 ↩︎ - OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021, 21 UF 146/20; KG Berlin, Beschluss vom 24.03.2021, 3 UF 1122/20; OLG München, Beschluss vom 29.04.2021, 31 Wx 122/21; AG Brandenburg an der Havel, Beschluss vom 27.09.2021, 41 F 132/21; AG München, Beschluss vom 11.11.2021, 542 F 6701/21. ↩︎
- Irritierenderweise werden im Koalitionsvertrag nur lesbische Paare explizit erwähnt. Dass die Erweiterung auch für geschlechtsdiverse Personen erfolgt, ist zu hoffen. ↩︎
- https://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2022-01/familienrechtsreform-marco-buschmann-lebensgemeinschaften-cdu-kritik ↩︎
- Zur Anti-trans*-Agitation in den USA: siehe Breitseite, Transfeindlichkeit in den USA, https://breitseite.akj-freiburg.de/ausgaben/sommersemester-2023/transfeindlichkeit-in-den-usa/ ↩︎
- So schrieb Dorothee Bär, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion am 06.06.2023 in der FAZ: „Statt Familienpolitik an vermeintlich neue Realitäten anzupassen, schaffen die Koalitionsparteien neue Realitäten für Familien, ideologisch geprägt durch Partikularinteressen der queeren Ränder neuer Lebensentwürfe und fernab jeglicher Mitte.“, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/warum-die-cdu-gegen-das-selbstbestimmungsgesetz-der-ampel-ist-18941366.html ↩︎