Bernd Obrecht (ehemals Strohmaier) war schon vor 50 Jahren in der Gründungszeit beim akj Freiburg dabei und ist seitdem in Freiburg politisch aktiv.
Breitseite: Wie seid ihr im Wintersemester 1972/1973 darauf gekommen, den akj Freiburg zu gründen?
Bernd: Ich bin im Wintersemester 1972/73 zum Studium nach Freiburg gekommen. Das war die bewegte Willy-Brandt-Zeit. Im Frühjahr 1973 bin ich zum akj, die Gruppe gab es da schon ein paar Monate. Im akj haben sich Menschen vom liberalen bis zum marxistischen Spektrum zusammengefunden. Es waren auch ein paar höhere Semester dabei, die richtig Gegenwissenschaft zur bürgerlichen Rechtswissenschaft betreiben wollten. Vom RCDS wurden wir sofort als „Arbeitskreis kommunistischer Juristen“ denunziert. Aber das macht ja nichts. Wir haben ihnen den Fachbereich in der Fachschaftsratswahl abgenommen und uns gut gerächt dafür.
Breitseite: Gab es damals schon andere akj‘s?
Bernd: Der akj Freiburg war der erste akj bundesweit, ganz sicher. Bei den Volkswirten und den Medizinern gab es dann kurz darauf auch so ähnliche Gruppen.
Breitseite: Im akj waren und sind Menschen aus verschiedenen Ecken des linken Spektrums vertreten. Was war euer Selbstverständnis als akj?
Bernd: Das war der klassische Fall einer linken Bündnispolitik. Was uns geeint hat, war die sogenannte GO-Politik, „gewerkschaftliche Orientierung“. Darauf konnten sich Liberale, Sozialdemokraten und Kommunisten einigen.
Breitseite: Wie hat der akj sich dann über die Jahre entwickelt? Ihr habt eine Zeit lang die Fachschaftswahlen gewonnen.
Bernd: Ja genau, ich war Fachschaftsrat und -sprecher. In manchen Gremien gab es eine Drittelparität: Profs, Mittelbau und Studenten, und wir hatten andere Gremien, da hatten die Profs die Mehrheit. Aber in den drittelparitätischen Gremien konnten wir richtig Politik machen. Der akj hat sich dann differenziert in eine eher politische Linie, die Gremienpolitik über den Fachschaftsrat gemacht hat und in eine wissenschaftliche Linie, die sich eher darüber Gedanken gemacht hat, wie man mit größeren rechtspolitischen Problemen umgeht.
Breitseite: Welche politischen Themen haben den akj damals besonders beschäftigt?
Bernd: Wir haben eine Gegenbewegung gegen die Berufsverbote aufgrund des Radikalenerlasses organisiert. Ich habe mit anderen die Bürgerinitiative gegen Berufsverbote gegründet. Es gab Riesendemos mit Zehntausenden von Menschen in Stuttgart. Wir haben auch versucht, Solidarität für die Betroffenen zu organisieren, indem wir ihnen persönlich geholfen haben. Die waren teilweise seelisch am Ende.
Außerdem haben wir uns mit Verschärfungen des Hochschulrahmengesetzes und des Landeshochschulgesetzes auseinandergesetzt.
Es gab einen Jurastudenten und Burschenschaftler, der ein Normenkontrollverfahren gegen das Wahlverfahren der verfassten Studierendenschaft angestrengt hat. Das war der Anfang vom Ende der verfassten Studierendenschaft, die danach erst wieder 40 Jahre erkämpft werden musste. Wir haben damals vom akj ein Gegengutachten gemacht.
Breitseite: Inwiefern hat sich die Spaltung der linken Szene in den 70er-Jahren auch auf die akj-internen Diskussionen ausgewirkt?
Bernd: Als akj hatten wir eine Grundsatzerklärung. Die Dinge, die wir da festgehalten haben, wollten wir gemeinsam angehen.
Breitseite: Wir haben sie dabei. Sie wurde auf den Tag genau vor 51 Jahren am 8. Mai 1973 veröffentlicht.
Bernd: Daran haben wir ein Jahr lang rumgebastelt.
Breitseite: Ihr schreibt darin, dass ihr zu einer einheitlichen praktischen Arbeit und Aktion kommen wollt. Was waren Aktionen, die dir in Erinnerung geblieben sind?
Bernd: Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Dezemberstreik 1974 oder 1975. Es ging damals um das Landeshochschulgesetz, um die Strangulierung der verfassten Studierendenschaft, sowie um eine Studienreform mit einem Umbau zu mehr Drittmittelforschung.
Es gab eine Urabstimmung, über 20 % der Studierenden haben teilgenommen und zu 95 % für einen Streik gestimmt. Am ersten Tag des Streiks standen wir als akj montagmorgens um 8 Uhr im KG II, haben versucht, die Juristinnen und Juristen auf dem Weg zur Vorlesung zu überzeugen, nicht hinzugehen. Danach sind wir in kleinen Sprenggruppen in die Jura-Vorlesungen gegangen und haben gesagt: „Entschuldigung, Herr Professor, wir müssen etwas verkünden. Es gab eine Urabstimmung, heute ist eine Streikaktion angesetzt. Deswegen möchten wir alle nochmal auffordern, zusammen zum Streiklokal zu gehen und dort über die Ziele zu diskutieren, statt diese Vorlesung abzuhalten.“ Darüber haben wir dann abgestimmt. Der Vorlesungsprofessor wurde dabei um Stellungnahme gebeten, ob er sich an die demokratische Abstimmung gebunden fühle und gleichzeitig eingeladen mit ins Streiklokal zu kommen. Schon war die erste Vorlesung auf dem Weg ins Audimax – unser Streiklokal.
Das hat in den meisten Vorlesungen geklappt, mittags war das Audimax rappelvoll. Der Rektor hat den Lehrbetrieb an der gesamten Uni dann für eine Woche eingestellt, um dem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wir waren die ganze Woche vor Ort, haben diskutiert, Aktionen gemacht und sind demonstrierend durch die Stadt gezogen. Das war der legendäre Dezemberstreik.
Breitseite: Wie war der juristische Studienalltag? Habt ihr euch in diesen integriert oder euch bewusst abgegrenzt?
Bernd: Wir hatten noch Profs mit NS-Vergangenheit. Jescheck war einer von denen, mit denen wir uns besonders viel angelegt haben. Es war außerdem noch die Zeit von Filbinger (Ministerpräsident von BaWü mit NS-Vergangenheit, Anm. d. Red.). Es gab damals viele, die vor 1945 die Rassegesetze verteidigt haben und später die gleiche faschistische Ursuppe nochmal „demokratisch“ neu besprochen haben.
Wir haben als akj ein kommentiertes Vorlesungsverzeichnis verfasst und es per Flugblatt an die Studierenden verteilt. Als Gruppe haben wir jeden Dienstag in der alten Uni getagt, bis zu 35 Leute, in normalen Zeiten auch mal nur 15. Außerdem haben wir gesellschaftskritische Juristen eingeladen. Helmut Ridder, Wolfgang Abendroth, das waren unsere Vorbilder. Es war uns immer wichtig zu sagen, dass das bürgerliche Recht das Recht einer Klasse ist.
Wir wollten die Klassenjustiz entlarven. Uns war aber klar, dass die Juristerei nur eine Ebene ist, sich mit der Klassenfrage auseinanderzusetzen.
Breitseite: Hat euch als Jurastudierende in der Zeit nach 1968 die Frage beschäftigt, ob ihr den „Marsch durch die Institutionen“ antreten sollt?
Bernd: Wir waren bei diesem Marsch voll dabei. Egal ob du Street Fighting Revoluzzer warst oder nicht, du hast einen Brotjob gebraucht. Ich selbst bin damals durchs Examen gefallen und habe nicht wiederholt, sondern bei einer Versicherung angefangen. Ich konnte mich trotzdem betätigen, Betriebsrat werden und weiteres. Viele meiner damaligen Freunde, Genossinnen und Genossen sind Anwälte geworden zum Beispiel im Hegarhaus. Viele von uns haben sich ständig für die Grundrechte eingesetzt, es gab RAF-Strafverteidiger. Andere sind nachher Richter geworden oder arbeiten in Bundesbehörden.
Breitseite: Wie hast du dich seit den 1970er-Jahren politisch engagiert?
Bernd: In der Zeit des Häuserkampfes war ich später sehr aktiv. Nach der Räumung des Dreisamecks und des Schwarzwaldhofs in Freiburg gab es 1981 nach den 30.000 in diesem Frühjahr (auf einer Demo gegen Rechts, Anm. d. Red.) die wohl zweitgrößte Demo in der Geschichte Freiburgs mit etwa 25.000 Menschen. In meinem Beruf als Sachbearbeiter bei zwei Versicherungen habe ich mich im Betriebsrat ständig für die Belegschaft eingesetzt und mich immer wieder mit meinen Vorgesetzten angelegt.
In der Zeit haben wir dann auch die Linke Liste, damals Friedensliste, gegründet. Ich kandidiere auch dieses Jahr wieder auf Platz 15 für die Kommunalwahl. Bei der Bauplatzbesetzung gegen das geplante Atomkraftwerk in Wyhl im Februar 1975 war ich natürlich auch dabei.
Außerdem habe ich schon 1978 mit sechs anderen den linken Motorradclub Kuhle Wampe Freiburg gegründet und bin als Delegierter zur Gründungsveranstaltung des bundesweiten Clubs gefahren. Wir waren damals Teil der Friedensbewegung und haben beispielweise eine Motorradstafette gegen Atomraketen durch ganz Deutschland gemacht. 2002 haben wir mit über 200 Motorrädern in Freiburg gegen die NPD demonstriert. Antifa ist auch heute noch unser großes Thema. 2006 war ich aktiv beim erfolgreichen Bürgerentscheid gegen den Verkauf der Freiburger Stadtbau dabei.
Breitseite: Wenn du zurückblickst, welche Bedeutung hat deine aktive Zeit im akj Freiburg für dich?
Bernd: Zusammen mit der Friedensliste und dem Motorradclub hat der akj wahnsinnig zu meiner Menschwerdung beigetragen und mich enorm geprägt. Ich komme aus einem ziemlich reaktionären Elternhaus. Ich habe dann im Studium alles anders gemacht, als man es mir gesagt hat: gesellschaftlich, persönlich, privat, politisch. Das war eine geile Zeit: Es war eine libertäre Zeit, wir sind rumgelaufen wie die wildesten Hippies.
Das insgesamt zweistündige Interview mit Bernd haben Fabian und Jakob im Archiv für soziale Bewegungen geführt und hier gekürzt wiedergegeben.