Polizei Freiburg erkennt Rechtswidrigkeit ihrer eigenen Maßnahmen an, um eine gerichtliche Klärung zu verhindern
von Bernhard Stüer
Verdachtsunabhängige Personenkontrollen? Möglicherweise verfassungswidrig? Anhängige Klage am Verwaltungsgericht (VG) Freiburg? War da nicht was? Ganz genau! Wie in der Ausgabe der Breitseite aus dem Sommersemester 20221 ausführlich berichtet, habe ich nach einer Kontrolle am Stühlinger Kirchplatz Klage beim VG Freiburg eingereicht.2 Ziel war es zum einen, die Praxis der verdachtsunabhängigen Kontrollen und die sich aufdrängenden verfassungsrechtlichen Probleme des § 27 Abs. 1 Nr. 3 Polizeigesetz (PolG) BW gerichtlich überprüfen zu lassen. Zum anderen ging es darum, dass wegen der Aussage des Polizeibeamten, mich zu kontrollieren, da ich „an den Schwarzen dort drüben vorbeigelaufen sei“, das Gericht die Rechtswidrigkeit der Kontrolle im Einzelfall aufgrund eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 1 Grundgesetz (GG) feststellt.
„Jetzt müsste es doch endlich zu einer gerichtlichen Klärung kommen“
Der Artikel aus dem Sommersemester 2022 war von der Hoffnung geprägt, dass nun endlich die polizeiliche Praxis der verdachtsunabhängigen Kontrollen gerichtlich überprüft und die Ermächtigungsgrundlage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Zunächst erklärte die Polizei, wenn auch wenig überzeugend, dass sie außerstande sei, die beiden handelnden Beamten zu ermitteln, da es der „zuständige Beamte im Führungs- und Lagezentrum ausnahmsweise versäumt habe, die beiden Namen zu notieren“. Daher könne sie zur Rechtmäßigkeit der Maßnahme im Einzelfall keine Stellung nehmen. Dennoch wolle die Polizei im Rahmen der Klageerwiderung umfassend zur Frage des Stühlinger Kirchplatzes als „gefährlicher Ort“ i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 3 PolG Stellung nehmen, benötige zur Aufbereitung der Daten allerdings eine Fristverlängerung.
Polizei räumt Rechtswidrigkeit ihrer eigenen Maßnahmen ein
Die Hoffnung auf eine so dringend benötigte gerichtliche Klärung ist jedoch schon einige Wochen später jäh zerplatzt. Statt wie zuvor angekündigt ausführlich Stellung zu beziehen und die Kriminalstatistiken vorzulegen, damit das Gericht feststellen kann, ob es sich beim Stühlinger Kirchplatz tatsächlich um einen Ort im Sinne von § 27 Abs. 1 Nr. 3 PolG BW handelt, hat die Polizei Freiburg mit Fristablauf ein umfassendes Anerkenntnis erklärt. Sie erkennt an, dass ich vollumfänglich Recht habe, Identitätsfeststellung, Durchsuchung und Datenabgleich also rechtswidrig waren. Das Anerkenntnis beruhe auf dem Versäumnis, die Namen der handelnden Beamten zu notieren und dem Unvermögen, diese anderweitig zu ermitteln. Eine Stellungnahme der Polizei sei daher leider doch nicht möglich, weshalb der Klageantrag mangels möglicher Gegendarstellung anerkannt werde.
Der Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen
Was auf dem Papier nach einem Erfolg klingt, ist rechtspolitisch wohl eher eine Niederlage. Denn aufgrund des polizeilichen Anerkenntnisses wurde das Verfahren durch ein Anerkenntnisurteil abgeschlossen. Dieses stellt lediglich die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen fest. Es unterbleibt also eine substantiierte Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Klagevortrag zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage und zur rassistisch motivierten Kontrolle. Das Gericht kann somit nicht zur Klärung der Rechtsfragen beitragen.
Genau dies stellte aber eines meiner Ziele und ein Ziel nahezu aller verwaltungsgerichtlichen Klagen dar. Ob eine Behörde anerkennt, dass man als Klägerin Recht hat, weil sie es versäumt habe, die Namen ihrer eigenen Beamtinnen zu notieren, oder demgegenüber ein Gericht begründet urteilt, dass polizeiliche Maßnahmen rechts- und womöglich sogar verfassungswidrig sind, ist ein enormer Unterschied. Aufgrund des Anerkenntnisses konnten die maßgeblichen und (verfassungs-) rechtlich hochumstrittenen Fragen nicht ansatzweise beantwortet werden. Weder wurde geklärt, ob § 27 Abs. 1 Nr. 3 PolG BW als Ermächtigungsgrundlage verfassungsgemäß ist, noch ob die Kontrolle im konkreten Fall gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verstößt. Auch wurden die Kriminalstatistiken zum Stühlinger Kirchplatz erneut nicht umfassend veröffentlicht. Dies wäre zur Herstellung von Transparenz sowie zur rechtlichen und politischen Kontrolle der Ausweisung des Stühlinger Kirchplatzes als Ort im Sinne von § 27 Abs. 1 Nr. 3 PolG BW enorm wichtig.
Prozessuale Anerkenntnisse haben im öffentlichen Recht nichts zu suchen
Ohne an dieser Stelle tiefer auf die umstrittene, aber leider wenig diskutierte Zulässigkeit von behördlichen Anerkenntnissen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingehen zu wollen, ist deren Problematik offensichtlich.
Anerkenntnisse haben ihren Ursprung im Zivilrecht (vgl. § 307 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Sie beruhen auf dem Gedanken, dass sich eine gerichtliche Auseinandersetzung erübrigt, wenn eine Partei den Anspruch der anderen Partei anerkennt, also zum Beispiel anerkennt, der Gegenseite den Kaufpreis doch zu zahlen. Nach herrschender Meinung ist § 307 ZPO über den Generalverweis der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in § 173 VwGO auch im Verwaltungsrecht anwendbar. Hiergegen sprechen aber gewichtige Einwände: So sind gerade die mündliche Verhandlung und die Auseinandersetzung des Gerichtes mit den umstrittenen Rechtsfragen für Klägerinnen und deren effektiven Rechtsschutz im besonders grundrechtssensiblen öffentlichen Recht von erheblicher Bedeutung. Durch das Anerkenntnis kann die Behörde mangels zurechtweisenden Urteils zudem ihre Praxis unverändert fortführen. Die Polizei kann also im konkreten Fall unverändert auf dem Stühlinger Kirchplatz verdachtsunabhängig kontrollieren. Dadurch ist auch die Wiederholungsgefahr nicht beseitigt – dies stellt aber gerade einen rechtlich anerkannten Zweck der Klage dar. Dieser Fall zeigt deutlich, dass prozessuale Anerkenntnisse im Verwaltungsrecht grundsätzlich fehl am Platz sind. Instrumente aus dem Zivilprozessrecht sollten nicht unbedacht und unkritisch in das Verwaltungsrecht übernommen werden. Insbesondere darf der fundamentale Unterschied zwischen dem Zivilrecht, das von der grundsätzlichen Gleichberechtigung der Parteien ausgeht, und dem öffentlichen Recht, das ganz entscheidend durch das Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Staat (Hoheitsträger) und Bürgerinnen (Rechtsunterworfenen) geprägt ist, nicht übersehen werden.
Zwar kommen behördliche Anerkenntnisse nicht besonders häufig vor. Die Polizei Freiburg ist aber bei diesem prozesstaktischen Instrument auf den Geschmack gekommen und hat bereits zuvor davon Gebrauch gemacht – ebenfalls in einem Verfahren zu einer Identitätsfeststellung (siehe VG Freiburg, Urteil vom 23.02.2012, 4 K 2649/10). Dass das kein Zufall ist, sondern Zeichen einer Verhinderungstaktik, dürfte offensichtlich sein.
Kein effektiver Rechtsschutz gegen verdachtsunabhängige Kontrollen
Die Polizei Freiburg hat erneut mit allen Mitteln verhindert, dass es zu einer gerichtlichen Klärung der Rechtsfragen rund um verdachtsunabhängige Kontrollen kommt. So erscheint eine effektive gerichtliche Kontrolle aktuell nicht möglich.
Dies ist umso ärgerlicher, da es schwierig ist, eine gerichtliche Kontrolle verdachtsunabhängiger Kontrollen überhaupt herbeizuführen (siehe dazu Breitseite SoSe 2022, S. 4 ff.). Wenn es trotz der vielen Hürden zu einer Klage kommt, nutzt die Polizei Freiburg alle faktischen und rechtlichen Mittel, um die gerichtliche Kontrolle zu vermeiden. Zunächst widersprechen sich die Auskünfte der Datenschutzbeauftragten und der Polizei, dann wurde angeblich versäumt, die Namen der zuständigen Beamten zu notieren (und diese seien auch anderweitig nicht zu ermitteln) und schließlich nutzt die Polizei ihr eigenes Versäumnis, um davon zu profitieren und ein Anerkenntnis zu erklären. Was zwischen der Ankündigung der Polizei im Dezember 2021, umfassend zur Ausweisung des Stühlinger Kirchplatzes als sog. „gefährlicher Ort“ Stellung zu beziehen, und der Kehrtwende durch die Erklärung des Anerkenntnisses im Januar polizeiintern vorgefallen ist, lässt sich wohl nur spekulieren. Waren die Trefferzahlen zum Stühlinger Kirchplatz doch nicht so überzeugend, sodass die Polizei befürchtete, die Ausweisung werde vom Gericht als rechtswidrig beurteilt? Gibt es gar keine ordentlich dokumentierten Statistiken?
Diese Verhinderungstaktik ist aus rechtsstaatlicher Perspektive und zur Wahrung effektiven (Grund-) Rechtsschutzes katastrophal. Es wird der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtsschutz unterlaufen. Folge ist, dass möglicherweise verfassungswidrige Gesetze und Maßnahmen über Jahre bestehen bzw. durchgeführt werden, ohne dass es der Judikative möglich ist, die Legislative und Exekutive effektiv zu kontrollieren. Das ist umso beunruhigender in Zeiten, in denen es bei einigen Landesgesetzgebern und Polizeibehörden an kritischer Reflektion über Nutzen und Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen und Gesetzen mangelt.
Unzählige weitere grundrechtseingreifende Maßnahmen auf verfassungswidriger Ermächtigungsgrundlage
Dieses Verhalten der Polizei ist schlichtweg frustrierend. Das gilt umso mehr im Lichte der Aussage des Polizeivizepräsidenten Matthias Zeiser bei der Podiumsdiskussion am 30.09.2021 im E-Werk, „man solle einfach klagen“, wenn man sich unrechtmäßig kontrolliert und durchsucht fühle. Nun wird es vermutlich wieder einige Jahre dauern, bis mit einer neuen Klage erneut Hoffnung aufkommt, dass sich ein Gericht kritisch mit verdachtsunabhängigen Kontrollen auseinandersetzt. Bis dahin werden unzählige weitere grundrechtseingreifende und schikanierende Maßnahmen auf verfassungswidriger Gesetzesgrundlage ergehen. Dieses Verhalten der Polizei schadet dem Rechtsstaat, verhindert effektive gerichtliche Kontrolle und belässt die Legitimation polizeilicher Maßnahmen über Jahre im Unklaren. Doch an vorderster Front leiden darunter die Menschen, die täglich verfassungswidrig angehalten, kontrolliert und durchsucht werden.
Sollte jemand von einer verdachtsunabhängigen Kontrolle betroffen sein und eine Klage in Erwägung ziehen, stehen meine bereits angefertigte Klageschrift und ich gerne unterstützend zur Verfügung. Eine Kontaktaufnahme mit Bernhard ist über breitseite@akj-freiburg.de möglich.
Weitere Klagen sind dringend erforderlich, um den Druck auf die Polizei aufrechtzuerhalten, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen und den Maßnahmen in dieser Form ein Ende zu setzen.
Fußnoten:
1 Breitseite, Ausgabe SoSe 2022, S. 4, abrufbar hier.
2 Zur Verfassungswidrigkeit von § 27 Abs. 1 Nr. 3 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG BW) und der Rechtswidrigkeit der Kontrolle im Einzelfall siehe Breitseite, Ausgabe SoSe 2022, S. 4, abrufbar hier.