Prüfungsämter im Rückwärtsgang

Von Jan

Breitseite-Ausgabe SoSe 2023

Die juristischen Fakultäten sind nicht für ihre studierendenfreundlichen Bedingungen bekannt. Der extrem umfangreiche Prüfungsstoff, der ständig gegenwärtige Leistungsdruck und die anonyme Lehre, die meist in Form​ von​ Massenveranstaltungen​ stattfindet,​ werden​ allerortens kritisiert. Doch statt das Lernklima für Jurastudierende zu verbessern, werden die Prüfungsbedingungen aktuell in vielen Bundesländern noch immer weiter verschlechtert. Neben der bundesweiten Streichung der Ruhetage im ersten Examen (ausführlicher Bericht auf Seite 57) trafen in diesem Frühjahr gleich mehrere Prüfungsämter Entscheidungen, die die Prüfungsbedingungen für das erste und zweite Examen weiter verschärfen. Ein Überblick.

Bayern: 120 Kilometer Anreise zur Klausur

In Bayern wurde im Mai 2023 bekannt, dass das Justizministerium zwei Standorte für die zweite juristische Staatsprüfung streicht. „Die Prüfungsorte Bamberg und Bayreuth sowie Regensburg und Passau werden zusammengelegt“, erklärte das Bayerische Landesjustizministeriums gegenüber LTO. Eine Entscheidung mit teils heftigen Folgen für die Referendar*innen: Ab dem Prüfungstermin 2024/2 werden sie in Passau und Bay- reuth nicht mehr geprüft. Kandidat*innen aus Passau müssen dann jeden Morgen 120 Kilometer mit dem Auto – oder anderthalb Stunden mit der Bahn – nach Regensburg anreisen müssen, um ihre Klausuren zu schreiben. Insgesamt umfasst das zweite Staatsexamen in Bayern neun Klausuren, die innerhalb von elf Tagen geschrieben werden. Nur wer es sich leisten kann, für diese Zeit in ein Hotel zu ziehen, kann sich die weite An- und Abreise sparen. Das Prüfungsamt begründete die Entscheidung damit, dass in den beiden Städten das geplante E-Examen nicht durchgeführt werden könne. Der Passauer Strafrechtsprofessor Holm Putzke widerspricht dieser Einschätzung in einer Petition gegen die Änderung: „Die Universität Passau (…) ist in der Lage und bereit, in Kooperation mit dem Landesjustizprüfungsamt ein E-Examen in Passau zu ermöglichen und die dafür notwendigen Räume bereitzustellen.“

Baden-Württemberg: Lange Anreise zum Examen

Noch kurzfristiger sind die Änderungen, die das baden-württembergische Justizministerium in diesem Frühjahr verkündet hat: Schon ab Herbst 2023 werden Jurastudierende aus Heidelberg und Tübingen ihre erste juristische Staatsprüfung nicht mehr in ihren Unistädten ablegen dürfen. Für die sechs Klausuren sollen sie jeden Morgen in eine andere Stadt fahren: Von Heidelberg nach Hockenheim, von Tübingen nach Reutlingen. Für die Heidelberger Studierenden bedeutet dies eine morgendliche Anfahrt von 25 Kilometern. Studierende ohne Auto müssen den ÖPNV nutzen. „Die bestehenden Verbindungen dauern (…) entweder über eine Stunde oder beinhalten Umstiege, die durchaus knapp und somit riskant sind“, schreibt der Heidelberger Fachschaftsrat. Außerdem liege der Bahnhof in Hockenheim etwas über einen Kilometer von der Stadthalle entfernt, wo​ die ​Prüfungen ​stattfinden​ sollen.

Keine Unterstreichungen mehr in Rheinland-Pfalz

Ebenfalls im Frühjahr traf das rheinland-pfälzische Justizministerium eine Entscheidung, die viele Studierende in der Examensvorbereitung vollkommen unerwartet traf: Ab dem 1. August diesen Jahres dürfen dort keine Unterstreichungen und Hervorhebungen mehr in den Gesetzestexten vorgenommen werden. Schon in der Vergangenheit war den Studierenden der Jura-Fakultäten in Trier und Mainz das Kommentieren der Gesetze verboten. Unterstreichungen und Markierungen dagegen waren erlaubt. Die Fachschaft der Uni Trier erinnert in ihrer Stellungnahme daran, dass sich die Studierenden in „jahrelanger Praxis und Arbeit am (markierten) Gesetz“ an diese Form des Lernens gewöhnt hätten. Studierende, die im Sommer ihr erstes Examen schreiben möchten, müssten sich nun in kürzester Zeit umstellen. Eine Übergangsregelung gibt es nicht. Den Studierenden wird somit zugemutet, ihr bisheriges Lernsystem in wenigen Monaten umzustellen. Da die bisher genutzten Gesetzestexte bereits markiert wurden, müssen auch neue Textsammlungen für mehrere Hundert Euro angeschafft werden. Das Justizministerium begründete die plötzliche Änderung unter anderem mit der rechtlichen Unsicherheit, die bislang beim Unterstreichen geherrscht habe. Anstatt durch ausführliche Beispiele und Erklärungen deutlich zu machen, welche Unterstreichungen noch erlaubt und welche verboten sind, wurde das Unterstreichen nun gänzlich verboten.

Siebte Klausur in Schleswig-Holstein

Auch für die Jurastudierenden in Kiel sieht das Prüfungsamt kurzfristige und schwerwiegende Änderungen vor. Die Fachschaft spricht nennt sie „die größte Verschärfung der Prüfungsbedingungen seit Jahrzehnten“: Neben einer Erweiterung des Prüfungsstoffes will das Justizministerium eine siebte Klausur im ersten Staatsexamen einführen. Sie soll dem Strafrecht angehören und laut Justizministerium sicherstellen, dass die Studierenden im Strafrecht nicht mehr auf Lücke lernen. Dass auch in Schleswig-Holstein die Ruhetage gestrichen werden sollen, kommt zur Erweiterung des Examens noch hinzu. Doch nicht nur durch die siebte Klausur vergrößert sich das Lernpensum für Jurastudierende in Schleswig-Holstein. Wie die Fachschaft Jura kritisiert, wird der Prüfungsstoff deutlich ausgeweitet. „Einigen Kürzungen stehen zahlreiche Erweiterungen gegenüber“ schreibt sie. Unter anderem das Internationale Privatrecht soll in umfangreicher Weise in den Prüfungskatalog aufgenommen werden.

One struggle one fight

Der Überblick über die Verschärfungen der Prüfungsordnungen ist nicht abschließend. Er zeigt jedoch, dass die Veränderungen in den einzelnen Bundesländern keine Einzelfälle sind. Während Jurastudierende im ganzen Land nach einer zukunftsweisenden Reform des Jurastudiums rufen, legen die Prüfungsämter den Rückwärtsgang ein. Sie dehnen den Prüfungsstoff aus und erschweren die Prüfungsbedingungen noch weiter. Im Alleingang und ohne demokratische Kontrolle durch die Landesparlamente wird in den Justizministerien und -behörden entschieden, wie das Jurastudium von morgen aussieht. Eine ernstzunehmende Beteiligung der Betroffenen gibt es nicht. Oft erfahren die Studierenden erst aus der Presse von den Änderungen. Wenn die Fachschaften Protest organisieren und Petitionen veröffentlichen, ist es meist schon zu spät. Ende Mai fand in Berlin eine Demonstration anlässlich der Justizminister*innen-Konferenz statt. „Wir haben keine Depression, wir haben Jura“ stand auf einem der Schilder. Um die Prüfungsämter zu einer echten Verbesserung unseres Studiums zu bewegen, wird es weiteren Druck aus der Öffentlichkeit bedürfen.