„Es geht mir darum, ein Fanal zu setzen.“

Breitseite-Ausgabe WiSe 22/23

Der Gender Pay Gap betrifft nicht nur die Privatwirtschaft: Auch im öffentlichen Dienst verdienen Frauen weniger als Männer. Astrid Siemes-Knoblich hat das selbst erlebt: Von 2012 bis 2020 war sie Bürgermeisterin der Stadt Müllheim im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Nun klagt sie gegen die Stadt Müllheim vor dem Verwaltungsgericht Freiburg. Die Breitseite hat mit ihr gesprochen.

Breitseite: Sie verklagen die Stadt Mülheim vor dem Verwaltungsgericht Freiburg auf Schadensersatz. Was ist der Anlass?

Fr. Siemes-Knoblich: Bei meinem Amtsantritt wurde ich per Gemeinderatsbeschluss in die niedrigere von zwei möglichen Besoldungsgruppen eingruppiert, nämlich B3. Im Nachgang erfuhr ich, dass mein männlicher Amtsvorgänger bereits in seiner ersten Amtszeit die höhere Besoldungsgruppe erhalten hatte. Da ich aber meine Amtszeit nicht gleich mit einem Konflikt zwischen mir und dem Gemeinderat beginnen wollte, habe ich es zunächst darauf beruhen lassen. Nach der Hälfte meiner Amtszeit hat eine Gemeinderatsfraktion das Thema dann nochmal auf die Agenda gesetzt. Eine andere Eingruppierung hat der Gemeinderat aber nach wie vor abgelehnt. Zu Beginn der Amtszeit meines Amtsnachfolgers habe ich dann erfahren, dass auch dieser in seiner ersten Amtszeit gleich in die höhere Besoldungsgruppe eingruppiert wurde.

Breitseite: Wenn Sie betonen, sowohl ihr Vorgänger als auch ihr Nachfolger haben schon in der ersten Amtszeit die höhere Besoldungsgruppe erhalten, bedeutet das, es ist üblich, dass in der zweiten Amtszeit dann spätestens die höhere Besoldung gezahlt wird?

Fr. Siemes-Knoblich: In Baden Württemberg darf der Gemeinderat entscheiden, ob in der ersten Amtszeit die höhere oder die niedrigere von zwei möglichen Besoldungsgruppen gezahlt wird. In der zweiten Amtszeit muss dann in der Tat die höhere gezahlt werden. Das gibt es in dieser Form in keinem anderen Bundesland. Meist ist es fest geregelt, welche Besoldungsgruppe ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin in der jeweiligen Ortsgröße bekommt, sodass gar keine Entscheidung des Gemeinderats erforderlich ist.

Breitseite: Wenn Sie alles zusammenaddieren, wie hoch war der Unterschied in der Besoldung zwischen den beiden männlichen Bürgermeistern vor und nach Ihnen und Ihrer Besoldung?

Fr. Siemes-Knoblich: Es handelt sich um gute 500 Euro im Monat, zuzüglich Zuschlägen. Außerdem kommen noch entgangene Pensionsansprüche dazu, die ich ebenso geltend mache. Alles in allem reden wir über rund 70.000 Euro.

Breitseite: Wie sind Sie auf die unterschiedliche Besoldung aufmerksam geworden?

Fr. Siemes-Knoblich: Die Beschlüsse des Gemeinderats sind öffentlich. Nachdem meine Besoldung zu Beginn meiner Amtszeit feststand, habe ich mich mit dem damaligen Hauptamtsleiter darüber unterhalten. Denn die Verwaltung im Müllheimer Rathaus hatte damals bereits angeregt, dass ich – wie mein Vorgänger – die höhere Besoldungsgruppe erhalte. Als der Gemeinderat sich dann anders entschieden hatte, wurde mir mitgeteilt, dass ich keinerlei Handhabe dagegen hätte. Heute weiß ich, dass das nicht korrekt war.
Nach meiner Amtszeit – entsprechend sensibilisiert – habe ich dann einen Blick auf die Eingruppierung meines Nachfolgers geworfen und gesehen, dass auch dieser die höhere Besoldung erhalten wird.

Breitseite: Wie hat die Stadt Mülheim reagiert, als Sie die Klage eingereicht haben?

Fr. Siemes-Knoblich: Vor Klageerhebung haben wir zunächst den Anspruch gegenüber der Stadt geltend gemacht und wollten in außergerichtliche Verhandlungen eintreten. Eine Einigung hätte auch bedeutet, dass sich die Stadt die nun aufkommende Negativ-PR erspart hätte. Als Bürgerin von Müllheim ist mir das ebenfalls ein Anliegen. Diese Vorgänge sind – gerade in Zeiten der Diskussion um Gender Equality – offensichtlich eine ziemlich peinliche Angelegenheit.
Nach einem Jahr war klar, dass dies nicht zum Erfolg führen wird. Der Gemeinderat hatte beschlossen, 20 Prozent der von mir geforderten Summe anzubieten. Aber ein Vergleich ist für mich in dieser Situation nicht akzeptabel. Denn es geht mir ja nicht darum, irgendwas an Geld noch zusätzlich zu bekommen, sondern es geht mir darum, ein Fanal zu setzen: „Für gleiche Arbeit gibt es gleiches Geld“.
Daraufhin haben wir uns 2021 entschieden, die Klage einzureichen. Die Stadt lässt sich nun ebenfalls anwaltlich vertreten und hat auch bereits eine Klageerwiderung eingereicht. Das ist der Status quo. Jetzt warten wir auf den mündlichen Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht Freiburg.

Breitseite: Was bringt die Stadt materiell gegen Ihren Anspruch vor?

Fr. Siemes-Knoblich: Die Stadt behauptet, dass es keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wäre. Insgesamt tut sich die Stadt mit ihrer Argumentation nach der Einschätzung meiner Anwälte aber recht schwer. Warum sich die Stadt schwertut, möchte ich im Vorfeld des Prozesses noch nicht in die Öffentlichkeit bringen. Aus unserer Sicht jedenfalls ist ein klares Muster der Diskriminierung erkennbar.

Breitseite: Sind Sie denn auch in Kontakt mit anderen Bürgermeisterinnen oder ehemaligen Bürgermeisterinnen, denen Ähnliches widerfahren ist?

Fr. Siemes-Knoblich: Ja, durchaus. Es gibt noch zwei Altfälle von denen ich weiß und mit denen ich auch in Kontakt bin. Und es gibt noch einen weiteren Fall, der möglicherweise bald öffentlich werden wird. Die Kolleginnen wollen jedoch zunächst das Ergebnis meiner Klage abwarten.

Breitseite: Sie hatten es vorhin bereits erwähnt, natürlich ist das alles auch einzuordnen in den größeren Kontext Equal Pay. Wird der öffentliche Dienst hier seiner Rolle gerecht?

Fr. Siemes-Knoblich: Nein, keinesfalls – und das ist eigentlich das Frappierende! Man sollte meinen, dass die staatlichen Institutionen eine Vorreiterrolle einnehmen. Aber es herrscht auch im öffentlichen Dienst eine gewisse Denke, die die Arbeit von Frauen weniger wertschätzt. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: „Die hat doch einen gutverdienenden Mann, die macht das doch bestimmt auch für weniger als ein männlicher Kollege.“ Solche Ausführungen habe ich in nicht-öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats zu hören bekommen, als über die Einstellung einer neuen weiblichen Führungskraft verhandelt wurde.
Dazu kommt, dass die Arbeit von Frauen, also von frauentypischen Berufen, ganz grundsätzlich in niedrigere Entgeltgruppen eingruppiert ist als typische Männerberufe. Dabei könnte man sehr trefflich darüber streiten, ob diese Frauen nicht gleiche Formen von Verantwortung und selbstständiger Arbeit übernehmen. Das ist ein strukturelles Defizit und ein Zeichen von mangelnder Wertschätzung.

Breitseite: Haben Sie zum Abschluss noch einen Rat an Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst oder im Beamt*innentum?

Fr. Siemes-Knoblich: Falls es den Verdacht von Geschlechterdiskriminierung gibt, würde ich dazu raten, sofort die Rechtmäßigkeit eines solchen Beschlusses anzuzweifeln. Es braucht einfach Fälle, in denen Frauen den Kopf über die Tischkante strecken und sich wehren. Dazu kann man auch verwaltungsintern Hilfe suchen: Es gibt Personalräte und Gleichstellungsbeauftragte, an die man sich wenden kann. Frauen sollten die Ungerechtigkeiten in der Bezahlung zum Thema machen. Meiner Einschätzung nach gibt es immer noch viel zu viel Angst, Selbstzweifel und andere, softe Motive, die Frauen daran hindern, das zu tun.
Letztlich muss man auch eine Diskussion darüber führen, wie die Entgeltgruppen im TVöD zustande kommen und wie welche Berufe im TVöD eingruppiert werden. Da ist meines Erachtens eine Reform nötig, in der man sich die Berufe, deren Output und Wertschöpfung, anschaut und daraufhin neu darüber nachdenkt, wie diese Berufe eingruppiert werden.

Breitseite: Herzlichen Dank für dieses Interview!

Das Gespräch führte Felix.