50 Jahre akj Freiburg

Der akj Freiburg wurde vor einem haben Jahrhundert im WiSe 1972/73 gegründet – Grund zu feiern! Nach monatelangen Überlegungen, wie wir den 50. Geburtstag des akj Freiburg begehen möchten (Festschrift? Vor-
tragsreihe?), war es am 29.04.23 so weit: Wir trafen uns in Mohammeds Krone, unserer Stammkneipe seit den 2010ern, zum Jubiläumsfest. Eine bunte Gruppe von über 50 Menschen jeweils etwa zur Hälfte bestehend aus aktuellen Studierenden und ehemaligen akjotis, die Wege aus der ganzen Republik auf sich genommen hatten, kam zu einem lebhaften und bereichernden Austausch zusammen. Dank Recherchen im Freiburger Archiv für soziale Bewegungen konnten wir auf die Anfänge des akj zurückblicken und anhand der Erinnerungen aller Anwesenden die vergangenen Jahrzehnte Revue passieren lassen. Mitgebrachte Leckereien, ein extra erstelltes Pubquiz, gemeinsames Singen und Zeit zum individuellen Austausch ließen den Nachmittag im Nu vorübergehen, sodass man nach der erfüllenden
Zeit in der gemütlichen Gaststube ganz überraschend ins Dunkle der Nacht trat. (OS)

„linksunten.indymedia“ bleibt verboten

Mit Beschluss vom 1. Februar 2023 (1 BvR 1336/20) nahm das Bundesverfassungsgericht mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das zuletzt durch Urteil des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 29.01.2020– 6 A 5.19) bestätigte Verbot der Internetplattform „linksunten.indymedia“ nicht zur Entscheidung an. Aus Sicht der Karlsruher Richterinnen legten die Beschwerdeführerinnen nicht hinreichend dar, dass sie durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die das Verbot zuletzt bestätigt hatte, möglicherweise in ihren Grundrechten verletzt seien. Damit äußerte sich das Bundesverfassungsgericht bedauerlicherweise nicht zu den grundrechtlichen Problemen, die das Verbot der Internetplattform aufwirft. „linksunten.indymedia“ galt bis zu seinem Verbot im Jahr 2017 als wichtiges linkes Online-Forum. Neben legalem Austausch fand auch strafrechtlich relevante Kommunikation über die Plattform statt. Das Bundesinnenministerium verbot daher den Betrieb der Website, in dem es darauf abstellte, dass hinter dem Online-Forum ein gleichnamiger den Strafgesetzen zuwiderlaufender Verein stünde. Schon vor dem Bundesverwaltungsgericht machten die Antragssteller*innen geltend, dass dieses Vorgehen gegen die Medien- und Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verstoßen habe. Die Online-Plattform genieße den grundrechtlichen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG und verlange daher, dass gegen strafbare Inhalte über das speziellere Telemedienrecht vorzugehen wäre. Das Vereinsrecht sei daher nicht anwendbar gewesen und das pauschale Verbot der gesamten Website unverhältnismäßig. Das Bundesverwaltungsrecht entzog sich der Prüfung dieser Einwände jedoch aus formalen Gründen, da die Antragssteller
im Verfahren aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung nicht geltend machten, Mitglied der verbotenen Vereinigung gewesen zu sein. (JR)

Gerichtlicher Sieg für Equal Pay

In der vergangenen Ausgabe interviewte die Breitseite die ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Müllheim, Astrid Siemes-Knoblich. Sie war vom Gemeinderat der Stadt für ihre Arbeit an der Spitze der Verwaltung in eine niedrigere Besoldungsstufe eingeordnet worden als ihre männlichen Amtsvor- und nachgänger. Das Verwaltungsgericht Freiburg gab nun einer Klage von Siemes-Knoblich auf Schadensersatz in Höhe von ca. 50.000€
vollumfänglich statt (VG Freiburg, Urt. v. 03.03.2023 – 5 K 664/21). Es erkannte in der Besoldungspraxis eine Diskriminierung wegen des Geschlechts im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Damit entsprach das Gericht der jüngeren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der des Europäischen Gerichtshofs. Nach dieser müssen Kläger*innen für die Annahme einer Diskriminierung deren Vorliegen nicht vollumfänglich beweisen, sondern lediglich Anhaltspunkte darlegen, die eine solche Diskriminierung vermuten lassen. Bei Klagen wegen equal pay lassen es die Gerichte für diese Vermutung ausreichen, wenn eine Frau für die selbe Arbeit schlechter vergütet wird als ein Mann. Dies war bei Siemes-Knoblich offensichtlich der Fall. Da die Stadt Müllheim keinerlei tragfähige Gründe für die niedrigere Bezahlung liefern konnte, die die Vermutung widerlegt hätten, stellte das Verwaltungsgericht eine Diskriminierung von Astrid Siemes-Knoblich wegen ihres Geschlechts fest. (JR)

Türkischsprechen verboten?

„Weil die Kinder in der Schule Deutsch sprechen. In Deutschland​ ist ​die offizielle ​Sprache ​Deutsch.​Ihr​ wollt,​ dass wir Deutsch sprechen. Die Schulen sind Deutsch.“ Diese Sätze stammen aus der Feder einer Drittklässlerin, die im Schwarzwald-Baar-Kreis zur Schule ging. Sie sind Teil einer Strafarbeit, welche die Grundschülerin verfassen musste, da sie sich – entgegen den Schulregeln – in einer Pause auf dem Schulhof mit einer Freundin auf Türkisch unterhalten hatte. Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Freiburg (Az. 2K 3284/20) sollte feststellen lassen, dass diese Strafarbeit rechtswidrig gewesen ist. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, der seit dem 07.10.2022 rechtswirksam ist. Nach dem Vergleich sind sich die Klägerin und das beklagte Land darüber einig, dass die Verhängung der Strafarbeit rechtswidrig war. Weiterhin verzichtete die Klägerin auf die Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche​ wegen​ Amtspflichtverletzung​ und​ nahm die hierauf gerichtete Klage zurück. Auch über die Kosten wurde sich geeinigt: Die Beklagte trägt die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens; im Verfahren vor den Zivilgerichten werden die Kosten hälftig geteilt. (FF)

Videoüberwachung im Passauer Klostergarten rechtswidrig

Bereits seit Ende 2018 wurde die Grünanlage „Klostergarten“ in der Passauer Innenstadt mithilfe von zahlreichen Videokameras überwacht. Nach Aussagen der Stadt dienten diese insbesondere der Vandalismusprävention sowie der Stärkung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung. Die gegen die Überwachung gerichtete Klage eines Passauer Bürgers, welche von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt wurde, war nun in zweiter Instanz erfolgreich. Während das Verwaltungsgericht Regensburg die Klage am 06.08.2020 noch als unzulässig abwies (Az. RN 9 K 19.1061, ZD 2020, 601), befand der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 30.05.2023 (Az. 5 BV 20.2104, BeckRS 2023, 12517): Die Klage ist zulässig und begründet, hurra! Nach Ansicht des BayVGH konnte die beklagte Stadt keine Daten vorlegen, die zeigen würden, dass es sich beim Klostergarten um einen Kriminalitätsschwerpunkt handele. Im Ergebnis überwiegen die schutzwürdigen Interessen der von der Videoüberwachung betroffenen Personen (insbesondere ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung
aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) das Interesse der Stadt Passau an der Maßnahme. Die GFF sah sich durch das Urteil bestätigt: „Öffentliche Plätze sind auch Orte des gesellschaftlichen Miteinanders und des freiheitlichen
Austausches. […] Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist ein intensiver Eingriff in Grundrechte, der nur unter sehr engen Bedingungen zulässig ist.“ (FF)

Grundrechte zweiter Klasse in Geflüchtetenunterkünften

Das Bundesverwaltungsgericht entschied am 15.06.2023 in zwei Revisionsverfahren zur Frage, inwiefern​ den ​Zimmern​ von​ Geflüchteten​ in​Sammelunterkünften​ rechtlicher​ Schutz​ zukommt.​ Es​ qualifizierte​
explizit die Zweibettzimmer zwar als privaten Rückzugsort und damit als durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Wohnung. Diesen Schutz schränkte das Gericht jedoch sogleich ein, indem es im polizeilichen Betreten der Räumlichkeit​ zum​ Auffinden​ und​ Ergreifen​ deren​ Bewohners aufgrund der Überschaubarkeit des Zimmers keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG sah. Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss ist hiernach für das Betreten besonders kleiner Wohnungen und​ Zimmer​ in Geflüchtetenunterkünften​ regelmäßig​ nicht erforderlich. Stattdessen ist ein Betreten nach Art. 13 Abs. 7 GG bereits dann erlaubt, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Eine solche dringende Gefahr, d.h. eine Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut, sahen die Richter:innen bereits darin begründet, dass der Betroffene zeitnah in
das nach der Dublin-Verordnung für seinen Asylantrag zuständige Italien überstellt werden sollte. Auch der zweite verhandelte Antrag zur Normenkontrolle der Hausordnung der LEA Freiburg, die u.a. anlasslose Taschen- und Zimmerkontrollen ermöglichte, blieb ohne Erfolg. Das Gericht verneinte bereits die Zulässigkeit des Antrags: Weil die Hausordnung nach Antragstellung geändert wurde und damit in ihrer angegriffenen Form außer Kraft trat und außerdem die Antragstellenden in der Zwischenzeit an anderen Orten lebten, lehnte das Gericht ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse hinsichtlich der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Hausordnung ab. Es verwies die Antragstellenden auf den deutlich beschwerlicheren Weg der Klage gegen auf Basis der Hausordnung ergangene Einzelmaßnahmen. Durch diese Einschränkung wird es typischerweise nur vorübergehend in Sammelunterkünften​ wohnenden​ Geflüchteten​ deutlich​ erschwert,​ effektiv Rechtsschutz gegen rechtswidrige Hausordnungen zu suchen.
Begleitend zur Gerichtsverhandlung fanden Protestkundgebungen​ gegen ​die​Unterbringung ​von ​Geflüchteten in Lagern statt. Der Kläger des ersten Verfahrens kündigte bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen die ergangene Entscheidung an. (AH)

Baden-Württemberg schafft ein kommunales Wahlrecht für wohnungslose Menschen

Ab der kommenden Kommunalwahl im Jahr 2024 dürfen in Baden-Württemberg wohnungslose Menschen wählen und gewählt werden. Obwohl diese Bevölkerungsgruppe in besonderem Maße von Entscheidungen der Kommunalpolitik betroffen ist, war sie bislang von den Wahlen des Gemeinderates ausgeschlossen. Die Änderung wurde vom baden-württembergische Landtag im März beschlossen.1

Rechtlicher Grund für den bisherigen Ausschluss aus dem Wahlrecht war die Formulierung von § 14 der baden-württembergischen Gemeindeordnung. Dort hieß es bislang nur, dass die „Bürger“ wahlberechtigt sind. Um Bürger*in zu sein, muss ein Mensch aller- dings in der Gemeinde gemeldet sein und dort seinen Hauptwohnsitz haben. Menschen, die auf der Straße leben, gehören daher im rechtlichen Sinne nicht zu den Bürger*innen. Daran ändert auch eine sogenannte Postersatzadresse nichts, die viele wohnungslose Menschen in sozialen Einrichtungen wie der Freiburger Pflasterstub’​eingerichtet ​haben,​ um ​Briefe​ empfangen​ zu können.

Mit der Gesetzesänderung erhalten alle Menschen, die aus diesem Grund bisher nicht wählen durften, ein aktives und ein passives Wahlrecht: sie können jetzt wählen und gewählt werden. Voraussetzung dafür ist, in keiner Gemeinde einen Wohnsitz zu haben und sich seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde gewöhnlich aufzuhalten. Bei den Landtags- und Bundestagswahlen hatten wohnungslose Menschen bereits ein Wahlrecht. Auch auf kommunaler Ebene konnten sie schon in vielen Bundesländern wählen. Die Änderung in Baden-Württemberg war damit lange überfällig.2

Dennoch bleibt die Teilnahme an der Wahl für wohnungslose Menschen ungleich schwerer als für Menschen, die in der Gemeinde gemeldet sind. Neben den tagtäglichen Ausgrenzungen aus der Stadtgesellschaft müssen sie hohe rechtliche Hürden überwinden, um an der Kommunalwahl teilnehmen zu können. Um wählen zu können, müssen sie sich künftig einige Wochen vor dem Wahltermin bei der Wahlbehörde melden, um sich in das Wählerverzeichnis der Gemeinde eintragen zu lassen. Dabei müssen sie auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeindegebiet nachweisen. Wie dies im
Einzelfall gelingen soll, bleibt fraglich. Zu Recht merkte die​ Liga​ der​ freien​ Wohlfahrtspflege​ in​ ihrer​ Stellungnahme zum Gesetzesentwurf an, dass diese Anforderungen eine hohe Schwelle bedeuten und regte daher an, die Meldefristen vor der Wahl herabzusenken.

In den Lesungen im Landtag spielte die Gesetzesänderung kaum eine Rolle.3 Alle demokratischen Parteien trugen die Änderung mit. Nur die AfD zeigte einmal mehr ihr menschenfeindliches Gesicht: „Was hat das Wahlvolk davon, wenn Obdachlose wählen dürfen?“, fragte ihr Redner im Plenarsaal und knüpfte damit an die lange Tradition von rechts an, wohnungslose Menschen als „Asoziale“ aus dem Volksbegriff zu eliminieren.4
Zu kritisieren ist die Wahlrechtsreform aus der entgegengesetzten Richtung. Sie geht nicht weit genug. Noch immer ist das Stimmrecht nur Deutschen und
EU-Bürger*innen vorbehalten. Menschen mit einer anderen Staatsangehörigkeit sind von der Wahl ausgeschlossen.5 Die aktuelle Reform kann daher nur ein kleiner Zwischenschritt auf dem Weg zu einem wirklich demokratischen Kommunalwahlrecht sein, das all denen eine Stimme gibt, die Teil der Stadtgesellschaft sind. (PN)

  1. Artikel 1 Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher und anderer Vorschriften vom 4. April 2023 ↩︎
  2. https://www.badische-zeitung.de/obdachlose-duerfen-ihre-stimme-bei-der-ob-wahl-nicht-abgeben–151767599.html ↩︎
  3. Plenarprotokolle 17/58 und 17/61 ↩︎
  4. https://www.kein-vergessen-mv.de/sozialdarwinismus-als-staerkstes-motiv/ ↩︎
  5. Siehe dazu Annes Artikel in Breitseite SoSe 2022, S. 14 ff. ↩︎

Aktivisti der Letzten Generation in Freiburg vor Gericht

Kurzmeldung aus der Ausgabe WiSe 2022/2023

von Ottilie Sandmann

Die Proteste der Klimagerechtigkeits-Bewegung Letzte Generation rufen nicht nur in der Bevölkerung gemischte Reaktionen hervor: Auch am Amtsgericht Freiburg herrscht Uneinigkeit über den richtigen Umgang mit den Aktivist:innen. Ende November begannen die Verhandlungen wegen Straßenblockaden im Februar. Am ersten Prozesstag ging es um die Teilnahme an drei Blockaden (Nötigung, § 240 StGB, in drei Fällen), am Tag darauf lediglich um eine einzige. Umso überraschender das Ergebnis: Freispruch am ersten Tag, Verurteilung nach Wünschen der Staatsanwaltschaft am zweiten.

Überraschend ist auch die Begründung des Freispruchs. Die Klimakrise wurde nicht herangezogen, um als Notstandssituation die Tat gem. § 34 StGB zu rechtfertigen oder nach § 35 StGB die Schuld auszuschließen. Der Richter verneinte die Rechtswidrigkeit der Tat bereits anhand des im zweiten Absatz des § 240 StGB vorgesehenen Merkmals der Verwerflichkeit. Eine Straße zu blockieren, um auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam zu machen, sei nicht als verwerflich anzusehen und die Rechtswidrigkeit der Tat von vornherein nicht gegeben.

Die Richterin im zweiten Prozess kam zu einem anderen Schluss, da sie dieses „Fern-Ziel“ vom „Nah-Ziel“ unterschied, Autos zum Stehen zu bringen und Stau zu erzeugen.

Es bleibt spannend, wie die nächste Instanz reagiert. (OS)

Videoüberwachung im Bermuda-Dreieck aktiv

Kurzmeldung aus der Ausgabe WiSe 2022/2023

von Felix Frank

Was lange währt, wird endlich gut? Bereits 2019 wurden im Bermuda-Dreieck und der unteren Bertoldstraße die ersten von insgesamt 16 Videokameras installiert. Ende Juli 2022 wurden diese nun von der Polizei in Betrieb genommen. An Wochenenden und vor Feiertagen übertragen sie zwischen 22 und 6 Uhr live in das Polizeipräsidium Freiburg. Dort erhofft man sich ein schnelleres Einschreiten, sollten sich Straftaten anbahnen. Aufgrund der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung ist das Land (nur) zur Gefahrenabwehr, nicht jedoch zur Strafverfolgung zuständig. Bürgermeister Stefan Breiter möchte durch die Kameras „das Sicherheitsgefühl der Freiburgerinnen und Freiburger stärken“.

Die Kritiker*innen wiederholen dagegen gebetsmühlenartig ihre berechtigten Einwände. So betont der Freiburger Jurist Prof. Roland Hefendehl, dass viele Straftaten von Emotionen geleitet sind. Kameras würden da nicht weiterhelfen, denn Menschen handeln in solchen Situationen nicht nach einer rationalen Kosten-Nutzen-Maxime. Auch zeige die Kriminologie, dass Videoüberwachung gerade nicht zu einem stärken Sicherheitsgefühl führt. Prof. Hefendehl kommentiert die Videoüberwachung daher gegenüber der Kontext- Wochenzeitung als „sinnfreien Aktionismus“.

Hinzu kommt, dass auch die Kriminalstatistiken den tiefgreifenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht rechtfertigen können. Die Polizei Freiburg veröffentlicht in einer Auswertung, die sich auf Januar bis November 2021 bezieht, folgende Zahlen: 6,25 % der Straßenkriminalität innerhalb Freiburgs würden im überwachten Bereich anfallen, der wiederum nur 0,15 % des Stadtgebietes ausmachte. Dabei bleibt jedoch außer Betracht, dass sich speziell am Wochenende und zu Nachtzeiten besondere viele Menschen im betreffenden Gebiet aufhalten. Ferner führt die Ausweisung als gefährlicher Ort zu einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung: Strafbares Verhalten findet überall statt, doch es wird dort sichtbar, wo besonders danach gesucht wird. Was lange währt, wird endlich gut? Jedenfalls auf die Versuche von Polizei und Stadt, die Videoüberwachung zu rechtfertigen, trifft das nicht zu. Nach Informationen des akj Freiburg wurde bislang kein Rechtsschutz gegen die nun angelaufene Videoüberwachung gesucht. (FF)

Normenkontrollantrag gegen LEA-Hausordnung teilweise erfolgreich

Kurzmeldung aus der Ausgabe WiSe 2022/2023

von Felix Frank

Die Breitseite berichtete in der vergangenen Ausgabe (SoSe 2022) über einen Eilbeschluss des VGH Mannheim in einem Verfahren, das sich gegen Regelungen der Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Freiburg richtete. Zwischenzeitlich ist die Hauptsache entschieden worden: In seinem Urteil vom 02.02.2022 (Az. 12 S 4089/20, abrufbar unter BeckRS 2022, 2836) tenorierte der VGH Mannheim, dass § 4 Abs. 1 Satz 5 Spiegelstrich 3, § 11 Abs. 3 und § 11 Abs. 4 der angegriffenen Hausordnung, die Zimmerkontrollen gestatten sollten, rechtswidrig und damit unwirksam gewesen sind. Diese Feststellung bezieht sich auf die Vergangenheit, da das Regierungspräsidium Freiburg bereits während des Normenkontrollverfahrens eine neue Hausordnung erlassen hatte. Der VGH erkennt in seinem Urteil an, dass der Normenkontrollantrag trotz „doppelter“ Erledigung (Aufhebung der angegriffenen Rechtsnorm sowie Wegzug bzw. Abschiebung der Kläger*innen aus der LEA) zulässig ist. Aufgrund des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs und der Tatsache, dass Aufenthalte in der LEA regelmäßig so kurz bemessen sind, dass Rechtsschutz in der Hauptsache kaum zu erlangen ist, verfügen die Kläger*innen nach Ansicht des VGH über ein berechtigtes Interesse, die Rechtswidrigkeit der Norm auch nachträglich festgestellt zu wissen. Weiterhin ist zu begrüßen, dass der Senat Zimmer in Erstaufnahmeeinrichtungen grundsätzlich als Wohnung i.S.d. Art. 13 Abs. 1 GG begreift. Dabei sollen zwar mit Blick auf die besonderen Unterbringungsstrukturen Einschränkungen gelten, jedoch genüge die vom beklagten Land angeführte Ermächtigungsgrundlage (§ 6 Abs. 3 Satz 2 FlüAG) ohnehin den Erfordernissen des Gesetzesvorbehalts nicht.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da das beklagte Land Revision zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt hat. Die Kläger*innen wiederum wenden sich mit einer Anschlussrevision dagegen, dass die Einlasskontrollen sowie die anlasslosen Kontrollen auf dem LEA-Gelände vom VGH für rechtmäßig erachtet wurden. Eine Terminierung des Verfahrens in Leipzig ist noch nicht erfolgt (Az. 1 CN 1.22).

Auch gegen jene Regelungen der Hausordnung, welche nicht normenkontrollfähig gem. § 47 VwGO sind – namentlich das Besuchsverbot gem. § 5 Abs. 4 und das Verbot von Gegenständen gem. § 10 der angegriffenen Hausordnung – haben die Kläger*innen Rechtsschutz gesucht: Als Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Freiburg (Az. 10 K 2326/21). Auch dort ist eine Terminierung noch nicht erfolgt. (FF)